Bregenzer

Festspielzeit

blaue illustrierte Wellen
Last change on 26. Juli 2025

Das Gespräch führte Elisabeth Merklein.
Der Text erschien in Ausgabe 4 (07/25).

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"Eine magische Wunderkiste voller Überraschungen"

Eine Oper wie eine Achterbahnfahrt: Mit einer wunderbar verrückten Inszenierung von Gioachino Rossinis La Cenerentola kehrt die preisgekrönte Regisseurin Amy Lane nach Bregenz zurück. Im Interview verrät die Britin, warum Aschenputtels Reise zu sich selbst durch ein Funhouse führt – und was ein Trupp Pinguine damit zu tun hat.

Regisseurin Amy Lane: Portrait, kurze Haare, lächelnd vor grünem Hintergrund

Im Märchen stehen Aschenputtel magische Kräfte zur Seite – Rossinis Cenerentola kommt dagegen ganz ohne Übernatürliches aus. Wie ist das bei Ihnen: Wie viel Zauber steckt in Ihrer Inszenierung?

Amy Lane: Wir holen die Magie zurück! Und unsere Verbindung in die Welt des Magischen ist Alidoro, der Lehrer des Prinzen. Wir haben ihn den Uhrmeister genannt – er ist der Herr über die Zeit. Wenn wir
Cenerentola begegnen, ist sie an einem Punkt angelangt, an dem sie einfach genug hat: genug von ihrer entwürdigenden Alltagsarbeit, genug davon, übergangen zu werden. Die Zeit für Veränderung ist gekommen.
Und unser Uhrmeister Alidoro kann die Zeit einfrieren, sie vor- oder zurückspulen – und dadurch die Kontrolle über jede Figur übernehmen, wann immer es ihm beliebt. Dazu wollten wir eine Welt erschaffen, in der er spielen kann: Diese Welt ist ein Funhouse, wie auf einem Jahrmarkt – eine magische Wunderkiste voller Überraschungen. Wenn man sich in ein Funhouse begibt, verschieben sich vielleicht die Bodenplatten, über die man läuft, Spiegel verzerren das eigene Aussehen, Treppen führen an den falschen Ort – wunderbare Methoden, die Erwartungen des Alltags zu brechen. Wir wollten diese Oper in ein Setting setzen, in dem das Unerwartete zur Regel wird.

Welchen Blick haben Sie dabei auf Cenerentola, eine jahrhundertealte Frauenfigur, im Jahr 2025?

Unsere Cenerentola soll eine großartige Kämpferin sein. Eine, die sich im Stillen unbeirrt denkt: „Da muss noch etwas kommen, es muss einen Ausweg geben.“ Für mich ist die zentrale Herausforderung, sie nicht als Opfer darzustellen, das herumgeschubst wird, sondern als intelligente, starke Frau, die immer wieder aufsteht, sich den Staub abklopft und entschlossen Richtung Veränderung weitergeht. Das heißt aber nicht, dass sie die Antwort schon kennt. Vielleicht braucht sie jemanden, der ihr den Weg zeigt, und dieser Jemand ist Alidoro. Aber am Ende ist es Cenerentola, die die Geschichte trägt und lenkt.

Hände mit Stecknadeln im Kostümatelier stecken gelb-pinken Stoff ab

Noch wird in den Werkstätten gebaut, gemalt, genäht und gezaubert – am 12. August feiert La Cenerentola auf der Bühne am Kornmarkt Premiere.

Auf welche Szene freuen Sie sich am meisten?

Ich freue mich wirklich auf das Finale des ersten Aktes: die Tafel-Szene, wenn beim Ball alle zum Abendessen gerufen werden. Das wird eine Tafel sondergleichen – viel Glück beim Essen an diesem Tisch! Da wird nicht einfach nur Zuckerwatte genascht, oh nein! Ich bin auch schon gespannt, wie Alidoro die Figuren unter seine Kontrolle bringt – in dem Sinne, dass man die Kontrolle über den eigenen Körper und seine Bewegungen verliert. Und wir haben einen wunderbaren achtköpfigen Chor: Für mich sind das zwei Barbershop-Quartette, die für Alidoro arbeiten und sich ein bisschen wie eine Gruppe Pinguine bewegen. Ich hoffe, dass man die Vorstellung am Ende mit einem leicht schmerzenden Gesicht verlässt, weil man so viel geschmunzelt hat. Das ist es, worauf ich hinarbeite.

Wir wollten diese Oper in ein Setting setzen, in dem das Unerwartete zur Regel wird.

Amy Lane

Wie viel Inspiration beziehen Sie als Regisseurin aus Rossinis Musik selbst?

Einhundert Prozent! Alles kommt aus der Partitur. Ich habe da großes Glück: Ich bin selbst ausgebildete Sängerin, ich fühle mich in der Partitur zu Hause. Jede gestalterische Entscheidung, die ich treffe, entspringt entweder ersten Impulsen aus dem Libretto, oder dem, was mich aus dem Orchester regelrecht überflutet. Und La Cenerentola hat eine ganz besondere Energie, eine elektrische Spannung. Direkt zu Beginn wird die Zündschnur angesteckt und los geht’s. Es bleibt kaum Zeit zu verschnaufen, man sitzt nur da und denkt sich: Herrje, was kommt als Nächstes? Das war auch ein wesentlicher Grund, warum wir das man nie genau weiß, was einen erwartet. Und ohne zu viel zu verraten: Es fühlt sich an wie eine Achterbahnfahrt. Mehr sage ich dazu nicht!
 

Direkt zu Beginn wird die Zündschnur angesteckt und los geht’s.

Amy Lane

Welches Musikstück aus La Cenerentola gefällt Ihnen am besten? Haben Sie eine Lieblingsarie? 

Oh, das ist wirklich schwer! Es ist kaum möglich, nicht „Non più mesta“ zu sagen. Man hat eine ganze Oper hinter sich, und dann kommt dieses fantastische Feuerwerk am Schluss. Aber ich liebe auch die Ouvertüre – sie ist wie ein Paket, das man Schicht für Schicht auspackt. Und dann natürlich Ramiros Arie „Sì, ritrovarla io giuro“ – was für ein Knaller! Ja, ich halte mich an die Klassiker.

Ein Rummelplatzpferdchen wird in der Werkstätte von einer jungen Frau bemalt

Sie sind nicht das erste Mal bei den Bregenzer Festspielen: 2011 und 2012 haben Sie Umberto Giordanos Andrea Chénier als Regieassistentin auf der Seebühne betreut, 2013 André Tchaikowskys Der Kaufmann von Venedig im Festspielhaus. Wie fühlt es sich an, nach Bregenz zurückzukommen?

Ich freue mich riesig, wieder hier zu sein. Diese beiden Produktionen waren so wichtige Erfahrungen für mich, um in meinem Beruf zu wachsen – deshalb bedeutet es mir besonders viel, jetzt als Regisseurin zurückzukehren. Was für ein Ort, um den Sommer zu verbringen!

Portrait der Regisseurin Amy Lange vor schwarzem Hintergrund, kurze Haare, lächelnd

Die international gefragte Opernregisseurin Amy Lane inszenierte zuletzt unter anderem bei der Canadian Opera Company in Toronto, der Longborough Festival Opera und dem Savonlinna Opera Festival. Sie war fünf Jahre lang Head Staff Director an der Royal Ballet and Opera in London und ist seit 2019 Artistic Director des Copenhagen Opera Festival.