Bregenzer

Festspielzeit

blaue illustrierte Wellen
Last change on 3. Juli 2025

Text: Kathrin Grabher
Der Text erschien in Ausgabe 3 (06/25).

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Spuk auf Knopfdruck

Teufel hin oder her – wer in der Idylle der Bregenzer Bucht Abend für Abend rund 7.000 Menschen das Fürchten lehren will, braucht Hilfe. Denn über Blitz und Donner, Farbenrausch und Nebel regieren auf der Seebühne nicht finstere Mächte, sondern die Techniker:innen der Ton- und Lichtabteilung.

Rund 300 Menschen sorgen bei jeder Freischütz-Vorstellung auf und hinter der Bühne für einen reibungslosen Ablauf. Einer von ihnen ist Clemens Wannemacher, Leiter der Tonabteilung bei den Bregenzer Festspielen. Seit 2020 arbeitet der gebürtige Niederösterreicher für das Sommerfestival, Der Freischütz ist seine dritte Produktion auf der Seebühne. Die von Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl mit viel Liebe zum Spektakel inszenierte Weber-Oper ist nicht nur ein Fest für die Augen, sondern geht auch tontechnisch außergewöhnliche Wege, wie Wannemacher sagt: „Philipp hat seine große Erfahrung als Filmregisseur in den Freischütz einfließen lassen, der ja auch sehr viele Sprechszenen hat. Im Film hat man oft mehrere Klangebenen, die parallel laufen: Die Dialoge – das Wichtigste natürlich –, eine Geräuschkulisse, die für Atmosphäre sorgt; und eine sogenannte ‚Underscore‘-Musik, also Musik unter den Dialogen, die die jeweilige Szene stimmungsvoll unterstreicht. Je nach Moment wechseln diese Ebenen ihre Dominanz – und so wollte es Philipp auch beim Freischütz haben.“

Der Freischütz: Zombies kommen aus dem Wasser, Kasper steht knietief im Wasser

Vorprogrammiertes Gruseln

Ermöglicht wird dieses komplexe Sounddesign durch die spezielle Tonanlage der Seebühne: Mit insgesamt rund 90 Mikrofonen nehmen die Techniker:innen die unterschiedlichen Klangquellen auf – und geben sie perfekt abgemischt über hunderte Lautsprecher im Publikumsbereich wieder aus. „Das Orchester und den Chor übertragen wir aus dem Festspielhaus“, erklärt Wannemacher, „die Sänger:innen, Schauspieler:innen und das Ensemble der Bühnenmusik werden ebenfalls über Mikrofone verstärkt. Und dann haben wir noch jede Menge Soundeffekte: Wind, der durch die Bäume pfeift, Donnergrollen, Vogelrufe … alles, was man mit einem rauen Winter assoziiert und ein bisschen unheimlich ist.“ In der Schaltzentrale der Tonabteilung reiht sich dafür ein Gerät ans andere. Über Regler und Knöpfe lassen sich während der Vorstellung Stimmungen zaubern, Wölfe beschwören oder Krähen durch die Bregenzer Nacht jagen. Zusätzlich gibt es eine Vielzahl szenisch zugeordneter Klänge, wie das Knallen von Kaspars Peitsche oder das Schlagen der Turmuhr.
 

Szene aus der Freischütz: dunkle, düstere Stimmung, Blitz im Mond, Alptraum Agathe, sie steht im Bett

Gewittersturm im Freischütz-Dorf: Erst der richtige Ton macht die Szene komplett.

Woher nimmt man diese Effekte, kann man Donner einkaufen – so wie Lautsprecher? „Bis zu einem gewissen Grad könnte man das“, sagt Wannemacher. „Aber wir haben uns auf Empfehlung von Philipp Stölzl an den Sounddesigner Jan Petzold gewandt, der schon viele seiner Filme vertont hat.“ Petzold zaubert die Krähen und Wölfe? Wannemacher nickt: „Der hat alles. Und was er nicht hat, bastelt er.“ Zwei Wochen lang tüftelte Petzold in seinem Kölner Studio an den perfekten Klängen für den Freischütz. „Um ein realistisches Bild zu erzeugen, legt man im Sounddesign mehrere Klänge übereinander“, erklärt Wannemacher. Für die drehenden Zeiger der Kirchturm-Uhr suchte Jan Petzold in seiner Bibliothek nach verschieden großen Zahnrädern, kleinen Hämmern, die auf Metall schlagen, und knarzendem Holz. „Einzeln für sich klingt jedes Geräusch mechanisch und steril. Erst durch die Kombination entsteht ein überzeugender, voller Sound“, so der Tonmeister.

Für zwei weitere Wochen kam Petzold dann nach Bregenz, um mit Clemens Wannemacher und seinem Team die vorbereiteten Effekte auf die Gegebenheiten am See abzustimmen. Denn was im Studio gut klingt, muss auf der Tribüne noch längst nicht funktionieren. „Wenn du dich im Studio beim Zuhören langweilst, weil der Vogel 15 Sekunden nur von rechts zu hören ist und ganz langsam um dich flattert – dann ist das für die Seetribüne mit ihren 80 Metern Breite eine ganz gute Geschwindigkeit“, gibt Wannemacher ein Beispiel.

Die Wiener Symphoniker im Großen Saal im Hintergrund ist eine Szene aus der Freischütz zu sehen, die als Video übertragen wird.

Dirigent:in und Orchester können das Geschehen auf der Seebühne per Videoübertragung verfolgen.

Gebäude aus Klang

Das Tonsystem der Seebühne ist ein ausgeklügeltes Meisterwerk aus sogenannten Punktschallquellen, einzeln ansteuerbaren Lautsprechern. Sie sorgen für eine realistische Raumsimulation unter freiem Himmel und  
gleichen – perfekt aufeinander abgestimmt – das Fehlen von Wänden und Decken aus, die in einem Opernhaus für gute Akustik sorgen.

Während Petzold Experte im Designen und Mischen von Tönen ist, ist Wannemachers Steckenpferd die Theater-Beschallung und Akustik-Simulation. Gemeinsam mit Alwin Bösch, Urgestein der Bregenzer Tonabteilung, und externen Expert:innen brachte er 2021 das berühmte Bregenzer Richtungshören BOA (Bregenz Open Acoustics) auf ein neues Level. „Meine Idee war, den Großen Saal des Festspielhauses draußen am See akustisch nachzubauen“, so Wannemacher. Rund 60 Mikrofone platziert sein Team für die Orchesterübertragung im Saal. Einige hängen von der Decke – sie erfassen das klangliche Gesamtbild und werden auch auf der Seetribüne von hochgelegenen Lautsprechern wiedergegeben. Andere liegen im Saal zwischen den Sitzreihen am Boden. Ihre Aufnahmen erklingen durch die 270 Lautsprecher, die auf der Tribüne unter den Sitzen montiert sind. „So bilden wir den Saal komplett ab und sorgen für einen natürlichen Raumklang“, erklärt der Tonmeister.

Auch die Handlung auf der Bühne kann das Publikum nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Ohren live mitverfolgen. Ob Ännchen und Agathe vor dem Wirtshaus scherzen oder Samiel durch die kahle Landschaft watet – jeder Szene werden Lautsprecher zugeordnet, die den Ton vom Ort des Geschehens wiedergeben. So lässt sich bis in die letzte Reihe klar orten, von wo aus die Darsteller:innen gerade sprechen oder singen.
 

Clemen Wannemacher, Tonmeister der Bregenzer Festspiele, kniet im Bühnenbild vom Freischütz

Fingerspitzengefühl am Regler

Neben allen technischen Raffinessen und Installationen gehört zur Tonabteilung auch die Aufgabe, die man ihr allgemein zuallererst zuordnen würde: Laut und leise. Wo in einem Opernhaus alleine die Musiker:innen und Dirigent:innen die Lautstärke bestimmen, kommt auf der Seebühne die akustische Verstärkung hinzu. Wie geht das Orchester damit um? „Das kann ein tolles künstlerisches Stilmittel sein. Man könnte ein laut spielendes Orchester ganz leise klingen lassen oder umgekehrt“, so Wannemacher. In erster Linie sieht er die Verstärkung aber als reine Unterstützung: „Wenn es eine musikalische Steigerung gibt, können wir zusätz- lich die Regler etwas nach oben ziehen – oder nach unten, wenn es ein bisschen zu viel ist. Oder wir geben den Soloinstrumenten ein wenig mehr Kraft.“ 

Grundsätzlich hält sich sein Team diesbezüglich aber im Hintergrund, wie er sagt: „Die Dirigent:innen haben das Können, die Musik so zu balancieren, dass sie im Saal stimmig klingt. Unsere Aufgabe ist eigentlich nur, diesen Klang nach draußen zu übertragen.“ Feines Nachjustieren also auf der großen Bühne – und auch hier mit Gespür für ihre Besonderheiten: „Nur wenn ein Motorboot vorbeifährt, oder Wind aufkommt und Wellen hörbar gegen die Ufermauer klatschen, dann drehen wir ein bisschen auf.“ Nichts soll das Publikum aus seiner Verzauberung lösen.

Auf dem Einkaufszettel der Tonabteilung: Wolfsgeheul und Krähenflattern