Bregenzer

Festspielzeit

blaue illustrierte Wellen
Aktualisiert am 27. Juni 2025

Text: Babette Karner
Der Text erschien in Ausgabe 3 (06/25).

Lesezeit 3 Min.

Tetris im Orchestergraben

Die Aufführung von Enescus Œdipe in Bregenz ist nicht nur eine musikalische, sondern auch eine organisatorische Herausforderung: Kunst, Klang und Logistik müssen perfekt ineinandergreifen.

Wenn bei den Bregenzer Festspielen im Sommer 2025 George Enescus Choroper Œdipe zur Aufführung kommt, ist das nicht nur ein musikalischer Höhepunkt, sondern auch eine logistische Meisterleistung. Denn manche Opern werden auch deshalb selten gespielt, weil sie die räumlichen Möglichkeiten einiger Opernhäuser überschreiten. Œdipe, tief verwurzelt in der Tradition der französischen Grand Opéra, ist eine davon: Sie füllt den Orchestergraben im Festspielhaus bis an die Grenzen des Machbaren.

Groß, größer – Grand Opéra

Für die Zusammensetzung von Opernorchestern gibt es keine feste, standardisierte Größe und Instrumentierung, wie man als Laie vielleicht denken würde. Die über 400 Jahre alte Kunstform hat sich seit ihren Anfängen kontinuierlich weiterentwickelt, und mit ihr das Orchester. So war beispielsweise die Grand Opéra im Paris des 19. Jahrhunderts mehr als ein Musikereignis. Sie war Spektakel, Repräsentation und klangliches Großformat – mit allem, was dazugehört: ausgedehnte Ballettszenen, prunkvolle Chöre, besondere Instrumentierungen und in Abgrenzung zu anderen Bühnengattungen eine klare Regel: Gesprochen werden durfte nicht. „Auch Enescus Œdipe, komponiert im frühen 20. Jahrhundert, trägt diese DNA in sich“, sagt Chefdramaturg Florian Amort, der auch für die Dramaturgie von Œdipe verantwortlich zeichnet. „Es ist ein mächtiges Werk mit außergewöhnlichem Orchesterapparat, das selten auf Spielplänen auftaucht. Nicht, weil es künstlerisch nicht überzeugen würde, sondern schlichtweg, weil die Besetzung für viele Häuser zu groß ist.“ Wegen eines verhältnismäßig kleinen Orchestergrabens im Theater von Coburg hatte bereits Richard Wagner Aufführungen seiner Werke mit reduziertem Orchesterapparat gebilligt. Richard Strauss nahm sich ein Beispiel und autorisierte ebenfalls Bearbeitungen seiner Opern für kleineres Orchester, die von seinem Verleger als Coburger Fassung international vertrieben wurde. „Eine sehr pragmatische, aber auch eine finanzielle Entscheidung: Ein solches Verfahren zeigt, wie der Verdienst oft künstlerische Entscheidungen beeinflusst hat.“

Die Wiener Symphoniker im Orchestergraben des Großen Saals des Festpielhauses Bregenz

Orchester hinter den Kulissen: Die Wiener Symphoniker beim Einspielen auf der Hauptbühne

Minutiöse Maßarbeit

Neben den üblichen Instrumenten schreibt Enescu in seiner Partitur die Verwendung eines Harmoniums, einer Celesta, zweier Harfen, eines Saxophons sowie einer Wind- und einer Donnermaschine vor. All diese Instrumente benötigen sehr viel Raum. Doch der Platz im Orchestergraben des Festspielhauses, konzipiert für vielfältige Nutzungen, ist begrenzt: „Wir können den Graben nicht vergrößern und es gibt im Großen Saal des Festspielhauses weder eine Unterbühne noch sonstigen zusätzlichen Raum, wo all die erforderlichen Instrumente Platz finden können.“ Die Konsequenz: Die Orchesterbesetzung muss für Œdipe maßgeschneidert werden. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Dirigent, aber auch Orchesterwart:innen und Bühnenmeister:innen. Sie entwickeln gemeinsam einen Besetzungsplan, der musikalisch tragfähig ist und sich realistisch umsetzen lässt: „Das ist wie Tetris im Orchestergraben“, sagt Amort. Die von Enescu geforderte Besetzung von 14 ersten Violinen musste auf zehn Musiker:innen reduziert werden. Verändert sich dadurch das Klangbild? „Ein wenig. Aber der Dirigent kann das durch sensible Balancearbeit sehr gut ausgleichen.“

Eines der ungewöhnlichsten Instrumente in Œdipe ist die Singende Säge – ein Effektinstrument, das mit einem Kontrabassbogen gestrichen wird. „Die Säge verleiht der Sphinx, einer zentralen Figur des Ödipus-Mythos, ihren durchdringenden, geisterhaften Schrei – ein Klang, der wie aus einer vormodernen Welt zu stammen scheint“, schildert Florian Amort. „Heute ließe sich dieser Effekt digital viel einfacher erzeugen. Doch in Bregenz entsteht er von Hand – Theaterzauber im ursprünglichsten Sinn.“

Tausendsassas im Orchester

In Œdipe erklingt Musik aber nicht nur aus dem Orchestergraben. Enescu hat auch Passagen für hinter der Bühne positionierte Flöten und Harfe geschrieben. Dafür verlassen die Musiker:innen ihre Plätze im Graben, spielen auf der Bühne im Hintergrund – und kehren dann wieder zurück, erklärt Amort: „Eine Kombination aus Logistik und Choreografie, die höchste Präzision verlangt.“ Enescus besonderes Augenmerk gilt in Œdipe dem Schlagwerk – einem Bereich, der seit 1900 die größte instrumentale Entwicklung erfahren hat. Vier Schlagwerker:innen sind im Einsatz, ein Vielfaches im Vergleich zu anderen Opern. Sie verwenden nicht nur Pauken, Becken und Trommeln, sondern auch Effektinstrumente wie die Singende Säge. „Da ist nicht nur musikalisches Können, sondern auch Neugier und Experimentierfreude gefragt. Die Schlagwerker:innen sind die Tausendsassas eines jeden Orchesters – bei Œdipe ist ihre Vielseitigkeit wesentlich für eine gelungene Umsetzung“, so Amort.

Klanginszenierung mit System

Was für das Publikum im Saal ein großer Musiktheatermoment ist, folgt hinter den Kulissen einem minutiös geplanten Ablauf, der in der Verantwortung der Orchesterwart:innen liegt. Sämtliche Instrumente, Notenpulte, Sitzplätze und Abläufe werden so vorbereitet, dass die Musiker:innen direkt Platz nehmen und spielen können. „Für eine so umfangreiche Produktion wie Œdipe ist das eine komplexe Aufgabe, denn der Saal des Festspielhauses wird im Sommer kontinuierlich auch für andere Aufführungen genutzt“, sagt Amort. „Das bedeutet, dass die Technikcrew mitunter mehrmals täglich alles umbauen muss: Probe am Vormittag, Umbau am Nachmittag, neue Veranstaltung am Abend. Der Aufwand ist enorm.“

Trotz aller kreativen Ansätze in der Umsetzung ließen sich manche Werke der Opernliteratur im Bregenzer Festspielhaus schlicht nicht realisieren, bedauert Amort: „Richard Strauss’ Elektra etwa oder groß angelegte Opern von Stockhausen sind aus heutiger Sicht hier kaum aufführbar. Für Œdipe jedoch haben wir durch sorgfältige Anpassungen, kreative Kompromisse und engagierte Teamarbeit eine Lösung gefunden, die dem Anspruch dieses Werks in jeder Hinsicht gerecht wird – musikalisch wie organisatorisch.“
 

Œdipe
George Enescu

 

16. Juli 2025 – 19.30 Uhr Premiere
20. Juli – 11.00 Uhr
28. Juli – 19.30 Uhr
Festspielhaus, Großer Saal