Text: Dávid Gajdos
Der Text erschien in Ausgabe 2 (03/25).
Lesezeit 3 Min.
Starke Plädoyers für legendäre Frauen

Im ersten Orchesterkonzert des Festspielsommers stehen Frauen im Mittelpunkt – vor allem auf der Bühne, aber auch in der Musik. Während Maurice Ravel in Shéhérazade die legendäre Erzählerin aus Tausendundeine Nacht in schillerndes exotisches Klangkolorit hüllt, schafft Mel Bonis in Trois femmes de légende fast einen Gegenentwurf: Sie fühlt sich tief in ihre Figuren hinein und gibt Kleopatra, Ophelia und Salome eine eigene musikalische Stimme. Dirigentin Elim Chan setzt mit diesem Konzert ein starkes Zeichen für vergessene Komponistinnen – und für Frauenfiguren, die zwischen Mythos und Realität gefangen sind.
Sie wurden von William Shakespeare und Oscar Wilde auf die große Bühne gebracht, durch Richard Strauss, Georg Friedrich Händel und neuerdings John Adams zu Opernheldinnen: Kleopatra, Ophelia und Salome wurden in den letzten Jahrhunderten meist von Männern auf offener Bühne unter effektvoller Musik niedergestreckt. In Trois femmes de légende werden diese drei tragischen Frauenfiguren ausnahmsweise von einer Frau zum Leben erweckt, die noch dazu durch ihre eigene Biographie geradezu prädestiniert dazu war.
Mélanie Hélène Bonis kam am 21. Januar 1858 in Paris zur Welt und wuchs in einer Mittelklassefamilie auf, die viel Wert auf ihre katholische Erziehung legte, ihre musikalische Begabung aber lange ignorierte. Bis sie zwölf Jahre alt war, brachte sie sich das Klavierspielen autodidaktisch bei, ein Freund der Familie überzeugte die Eltern schließlich, dass ihr Kind Musikunterricht brauchte. Später wurde sie dem Komponisten César Franck vorgestellt, der so beeindruckt war, dass er ihr Privatstunden gab und sie ins Pariser Konservatorium aufnahm. Dort befreundete sie sich mit dem vier Jahre jüngeren Claude Debussy, mit dem sie Komposition studierte. Mehrere Preise belegen das im Rückblick Offensichtliche: Sie war äußerst begabt. „Aber“ eine Frau, die von der rigiden Gesellschaft höchstens in die Rolle einer Solopianistin, noch eher aber in die einer Vollzeitmutter gedrängt wurde.
Man leidet in dem Maße, in dem man liebt.
Bonis reagierte auf den gesellschaftlichen Gegenwind mit der Kürzung ihres Namens zum androgyn klingenden Mel, ihre eigene Familie konnte sie damit aber nicht täuschen. Als sie sich in den um zwei Jahre älteren Gesangsstudenten Amédée Landély Hettich verliebte, zwangen ihre Eltern sie dazu, ihre musikalische Bildung mit 20 aufzugeben, zum Missbehagen ihrer Professoren. Der junge Hettich konnte noch so erfolgreich sein, noch so leidenschaftlich um Bonis werben, eine Heirat kam für die Familie nicht in Frage. Dabei muss er ein inspirierender junger Mann gewesen sein, der Gedichte schrieb und auch als Journalist und Sänger recht erfolgreich war. Bonis vertonte einige seiner Texte, folgte aber dann dem Zwang ihrer Familie, die bald darauf eine Ehe für sie arrangierte. Gesellschaftlich war diese ein großer Schritt: Sie heiratete 1883 Albert Domange, einen zweifachen Witwer mit fünf Söhnen und einem beachtlichen Vermögen. Der Haken: Domange mochte keine Musik, war doppelt so alt wie Bonis und nicht Hettich.
Bonis gab die Musik für circa zehn Jahre ganz auf, stattdessen managte sie zwölf Bedienstete und ein großes Haus in der eleganten Rue Monceau und bekam drei Kinder. Während ihr Studienfreund Debussy mit dem Prix de Rome nach Italien reiste und später in Paris ein Bohème-Leben führte, verwandelte sich Bonis zu Madame Domange, zur hingebungsvollen Frau eines erfolgreichen Industriellen. Als Debussy 1894 mit Prélude à l’après-midi d’un faune seinen künstlerischen Durchbruch feierte und gewissermaßen den musikalischen Impressionismus erfand, war Bonis von solchen Erfolgen zwar meilenweit entfernt, aber immerhin wieder musikalisch aktiv. Das lag zum Großteil an der Wiederbegegnung mit Hettich. Er war mittlerweile ein angesehener Gesangslehrer, verheiratet, aber immer noch in Bonis verliebt. Ihre zunächst platonische Beziehung brachte sie zurück in die Musikszene. Sie vertonte Gedichte von ihm, begleitete seine Studierenden und begann wieder zu komponieren. Es war auch Hettich, der sie dem Verleger Alphonse Leduc vorstellte, der fortan ihre Werke veröffentlichte.

Die Trois femmes de légende orchestrierte Bonis am Anfang der 1920er-Jahre. Sie basieren auf drei Klavierstücken aus ihrer erfolgreichsten Periode vor dem Ersten Weltkrieg. Verwitwet und nach all dem, was passiert war, zunehmend depressiv, lebte sie mehr und mehr vergessen mit ihrer unehelichen Tochter, bis auch sie heiratete. Sie starb am 18. März 1937, Hettich nur 18 Tage nach ihr.
Elim Chan
Wiener Symphoniker
21. Juli 2025 – 19.30 Uhr
Claude Debussy
Prélude à l’après-midi d’un faune
Maurice Ravel
Shéhérazade
Mélanie (Mel) Bonis
Trois femmes de légende
Claude Debussy
La Mer