Text: Thea Plath
Der Text erschien in Ausgabe 4 (07/25).
Lesezeit 4 Min.
Mahler'sche Tonpoesie
Wenn Gustav Mahler komponierte, war seine Frau Alma meist nicht weit – nicht als musikalische Partnerin, sondern als Mutter der gemeinsamen Kinder und Mentorin im Hintergrund. Dabei war auch sie eine begabte Komponistin. Unter der Leitung von Leo McFall spielt das SOV Werke beider Mahlers und gibt Almas lange ungehörter Stimme eine Bühne.

Wie stellst du dir so ein komponierendes Ehepaar vor? Hast du eine Ahnung, wie lächerlich so ein Rivalitätsverhältnis werden muss?
Über die Ehe von Alma und Gustav Mahler existieren zahlreiche Legenden und Vorurteile. Es sind Klischees einer bösartigen „femme fatale“, die ihren Mann in den Wahnsinn und schließlich in den Tod treibt – oder eines herrschsüchtigen Ehemanns, der seiner Frau und ihrer Karriere als einziges Hindernis im Weg steht. Fakt ist, dass Gustav Mahler und Alma Schindler (am Ende ihres Lebens trägt sie den Namen Mahler-Werfel) sich 1901 in Wien kennenlernen. Nur drei Wochen später macht der Komponist, Dirigent und Direktor der Wiener Hofoper der 22-Jährigen einen Heiratsantrag. Auch Alma ist zu diesem Zeitpunkt bereits musikalisch tätig und nach den Einschätzungen ihrer Lehrer:innen sehr begabt. Sie erhält in jungen Jahren Klavier- und Kammermusikunterricht, später wird sie von ihrer Lehrerin für das Kompositionsstudium empfohlen, das sie unter anderem bei Alexander von Zemlinsky fortführt. Als talentierte Pianistin erwägt sie eine Karriere im Musikbereich, gegen die sich jedoch ihr Stiefvater stellt.
Es wird nicht das letzte Mal sein, dass Alma ihre eigenen Ambitionen aufgrund äußerer Einsprüche hintanstellt.

Unter der Leitung von Leo McFall musiziert das Symphonieorchester Vorarlberg Lieder von Alma Mahler, orchestriert von David und Colin Matthews.
Er hält von meiner Kunst gar nichts – von seiner viel – und ich halte von seiner Kunst gar nichts und von meiner viel!
Im Schatten der Berühmtheit
Im Dezember 1901 schreiben die Frischverliebten einander innige Briefe von Wien nach Berlin – dort weilt Gustav Mahler anlässlich der Erstaufführung seiner vierten Symphonie. Durchbrochen werden die gegen- seitigen Liebesversicherungen von einem zwanzig Seiten langen Brief, in dem Gustav seine Bedingungen für die Ehe niederschreibt: „Eheweib“ soll Alma sein, nicht sein „College“. Denn auch seine Verlobte komponiert – vor allem Lieder – und strebt eine Veröffentlichung ihrer Werke an. „Wie stellst du dir so ein komponierendes Ehepaar vor? Hast du eine Ahnung, wie lächerlich […] so ein eigentümliches Rivalitätsverhältnis werden muss?“ Gustav stellt sich klar gegen eine Kompositionskarriere seiner zukünftigen Frau. Er möchte, dass sie seine Musik als die ihrige betrachtet. Alma willigt schließlich ein und trägt ihre Kompositionen, den „Sarg mit diesen Geschöpfen“ wie sie schreibt, metaphorisch zu Grabe. Ihrem Tagebuch vertraut sie an: „Er hält von meiner Kunst gar nichts – von seiner viel – und ich halte von seiner Kunst gar nichts und von meiner viel. So ist es!“ Am 9. März 1902 heiraten die beiden in kleiner Gesellschaft in der Wiener Karlskirche. Gustavs Karriere als Dirigent und Komponist entwickelt sich in den nächsten Jahren stetig.
Die Familie Mahler führt ein bewegtes Leben, durchzogen von Konzertreisen und sommerlicher Idylle am Wörthersee, die Gustav zum Komponieren außerhalb der Theater- und Konzertsaison nutzt.
Späte Anerkennung
Insgesamt sind 14 Lieder mit Klavierbegleitung bekannt, die zu Almas Lebzeiten veröffentlicht wurden. Sie sind, bis auf wenige Ausnahmen, vor ihrer Ehe mit Gustav entstanden. Über ihre kompositorische Tätigkeit nach dessen Tod 1911 ist kaum etwas bekannt, wobei sie
in Tagebüchern zahlreiche weitere Werke erwähnt, die bis heute verschollen sind. Neben Klavier- und Kammermusik-Kompositionen schreibt Alma knapp 50 Lieder und einen musikdramatischen Entwurf zu einem Text von Hugo von Hofmannsthal. Obwohl sie demnach ein wohl deutlich breitgefassteres Œuvre erschaffen hat, sind insgesamt nur 17 Liedkompositionen daraus bekannt. Dass immer wieder – zuletzt 2018 – neue Werke von Alma ausfindig gemacht werden, macht jedoch Hoffnung auf weitere Entdeckungen. Bis dahin finden die vorliegenden Lieder Gehör auf führenden Konzertbühnen der Welt und bringen Alma Mahler-Werfel verspäteten Erfolg ein. Besondere Wertschätzung erfährt sie durch die Komponistenbrüder David und Colin Matthews, die bereits sieben ihrer Lieder für Orchester arrangiert haben. Lieder für Klavier auf orchestrale Größe anzuheben, ist gängige Praxis im 20. Jahrhundert und für namhafte Liedkomponist:innen eine Selbstverständlichkeit. Dass Almas Lieder in dieser Form erscheinen und aufgeführt werden, ist Ausdruck von Anerkennung und Interesse an ihrem Werk.

Im Auftrag der Bregenzer Festspiele haben David und Colin Matthews zwei weitere Lieder Alma Mahler-Werfels orchestriert: Ansturm nach literarischer Vorlage von Richard Dehmel und Hymne an die Nacht nach einem Gedicht von Novalis. Sie erklingen im Orchesterkonzert gemeinsam mit fünf weiteren von ihnen orchestrierten Liedern Almas. Die Ergänzung dazu bildet die vierte Symphonie Gustav Mahlers, die ebenfalls lyrische Qualitäten hat, orientiert sie sich doch am Gedichtzyklus Des Knaben Wunderhorn. Es ist Gustav Mahlers kürzeste Symphonie, keinesfalls aber schwach an Inhalt: Es geht um nichts Geringeres als das Leben im Himmel, das aus kindlicher Perspektive betrachtet wird. Was Musikkritiker um 1900 als „Stil- ungeheuer“ bezeichneten, wuchs schnell zu einer der beliebtesten Symphonien des Komponisten heran. Das fröhliche Treiben darin entpuppt sich aber als trügerische Phantasie: Zum Schluss müssen auch die ins Paradies entschwebten Zuhörer:innen in die irdische Welt zurückkehren.
Dort singt dann am 17. August 2025 Sonja Herranen das Sopransolo in Gustav Mahlers vierter Symphonie. Für Alma Mahler-Werfels Lieder steht die Mezzosopranistin Dorottya Láng auf der Bühne des Festspielhauses. Dieses „Mahler’sche“ Programm ist – neben Oskar Frieds Fantasie über Motive aus „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck – Teil der traditionellen Matinee des Symphonieorchester Vorarlberg unter der Leitung von Leo McFall, der somit bereits das fünfte Jahr in Folge das abschließende Orchesterkonzert der Bregenzer Festspiele dirigiert.