Bregenzer

Festspielzeit

blaue illustrierte Wellen
Aktualisiert am 26. Juli 2025

Text: Erich Nyffenegger
Der Text erschien in Ausgabe 4 (07/25).

Lesezeit 3 Min.

Die Schrittmacher im Wimmelbild

Die Stuntleute auf der Seebühne sind mehr als nur das Salz in der Suppe der Freischütz-Inszenierung. Sie klettern, tanzen, tauchen und sorgen mit akrobatischen Einlagen für filmreife Momente. Doch bei all der Action geht es für sie am Ende vor allem um eines: die Sicherheit.

Erhängungsszene "Der Freischütz" eine Figur hängt über dem Wasser

Selten war das Bühnenbild auf der Seebühne düsterer, selten war mehr Bewegung im Spiel, getragen von den Elementen Feuer, Wasser und Luft. Und nur selten hat es mehr atemberaubende Momente gegeben, ermöglicht durch mutige Regieentscheidungen und Menschen, die mit vollem Körpereinsatz an ihre Grenzen gehen. So stockt dem Publikum gleich zu Beginn des Freischütz der Atem, wenn Cameron Woolnough als Double für den Protagonisten Max von der Dorfgemeinschaft an einem Baum „aufgeknüpft“ wird und minutenlang wie tot über dem Wasser baumelt.

Gut geplant von Anfang an

Was aber sind das eigentlich für Leute, die – von den Zuschauer:innen unbemerkt – in die Rollen der Solist:innen schlüpfen, wenn es brenzlig wird? Und kann man das, was diese Menschen machen, irgendwo lernen, oder braucht man nur eine satte Portion Wagemut, gepaart mit ein wenig Verrücktheit? Wer das Glück hat, bei einer der Stunt-Proben auf der Seebühne dabei zu sein, bekommt alles andere als den Eindruck, dass dort wilde Draufgänger:innen am Werk sind. Vielmehr erscheint die Szenerie wie ein Sicherheitstraining. Nicht nur, dass alle Aktionen von der Chefin des Stunt-Teams, Wendy Hesketh-Ogilvie, akribisch geplant und choreographiert werden – sämtliche Ausrüstungs-Elemente wie Ösen, Haken oder Seile sind nicht nur doppelt, sondern gleich mehrfach geprüft.

Samiel, der Teufel im roten Lederkostüm, auf dem Baum

Gut vorbereitet und gesichert wagen sich auch die Künstler:innen selbst an spektakuläre Szenen. 

„Die Sicherheit auf der Bühne hat absolute Priorität für uns“, sagt Jamie Ogilvie, der die technische Seite der Stunts verantwortet. Die Gleichung ist offensichtlich: Wer riskante Dinge auf der Bühne tut, muss umso vorsichtiger und sorgfältiger sein. Und damit diese Gleichung gut aufgeht, ist die Leitung des Stunt-Teams bereits sehr früh in die Entwicklung der Inszenierung eingebunden. Denn ihre Arbeit hat auch Einfluss darauf, wie das Bühnenbild gebaut wird. Es muss festgelegt werden, wo und wie überhaupt sicher gesprungen, geklettert oder getaucht werden kann.

Die Kunst des Nervenkitzels

In seiner Freischütz-Inszenierung setzt Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl auf starke Bilder, überraschende Effekte und jede Menge Action. Wendy Hesketh-Ogilvie sagt dazu: „Das Team in dieser Inszenierung die Grenzen dessen aus, was möglich ist.“ Sie und ihr Mann Jamie betreiben in Liverpool das Wired Aerial Theatre. Diese Company übt die Kunst der Luftakrobatik im besten und wahrsten Sinne des Wortes aus: Mit technischen Mitteln wie Bungee-Seilen scheinen die Akteur:innen in ihrer Performance die Schwerkraft zu überwinden. Die Stunt-Profis sind nicht zum ersten Mal in Bregenz, sondern inzwischen fester Bestandteil des Seebühnen-Spektakels. Zuletzt waren sie in Madame Butterfly und Rigoletto zu erleben. In diesem Jahr sorgt Wired Aerial mit einem von 28 Personen, darunter 21 Stunt Performer, für die besonderen Momente in dieser „Abteilung Nervenkitzel“.

Stuntfrau Viva Forster in "Agathes Bett" - die roten Haare fliegen in der Luft - die Szene ist dunkel und sehr düster

Die Kunst der Gänsehautmomente

 

Eine Stunteinlage, die dem Publikum wohl in Erinnerung bleiben wird, ist die schauerliche Szene in der Wolfsschlucht, als Max das Trugbild seiner Agathe erscheint: Hier schlüpft Stunt-Frau Viva Foster in die Rolle der Agathe, wenn diese sich wie im Wahn vor- und zurück- wirft. Doch das ist nur eine von mehreren Aufgaben, die Viva Foster in ihrer inzwischen vierten Seebühnen- Inszenierung bewerkstelligt – nicht nur in luftiger Höhe, sondern auch im Wasser. Denn an anderer Stelle taucht sie mit anderen Darsteller:innen plötzlich wie aus dem Nichts empor und untermalt – aufwändig maskiert – mit einem bizarren Wasserballett Ännchens Traum vom besseren Leben.

Das Wasserbalett brusttief im Wasser mit blauem Sternenkranz auf dem Kopf

Gerade die vielen Szenen im und ums Wasser verlangen erfahrene Fachleute. Das Wired Aerial Theatre wählt für den Einsatz bei den Bregenzer Festspielen Stuntleute, Akrobat:innen und Tänzer:innen aus. Während der Probenphase wird dann sehr genau abgewogen, welche Bühnenaktionen die Sänger:innen selbst bewältigen können und für welche die Doubles zum Einsatz kommen, um das Wimmelbild auf der Seebühne in Bewegung zu halten.