Bregenzer

Festspielzeit

blaue illustrierte Wellen
Last change on 26. Juni 2025

Das Gespräch führte Babette Karner.
Der Text erschien in Ausgabe 3 (06/25). 

Reading time 4 Min.

„Sie traf mich direkt ins Herz“

Die US-amerikanische Mezzosopranistin Joyce DiDonato gehört zu den faszinierendsten Künstlerinnen unserer Zeit – gefeiert für ihre Vielseitigkeit, Tiefe und Neugier. In dem neuen Musiktheaterwerk Emily – No Prisoner Be setzt sie sich gemeinsam mit Komponist Kevin Puts und dem Ensemble Time for Three intensiv mit dem Werk der US-amerikanischen Dichterin Emily Dickinson auseinander. Im Gespräch erzählt DiDonato von ihrer prägenden, ersten Begegnung mit Dickinsons Poesie, der kreativen Kraft dieser besonderen Zusammenarbeit und der künstlerischen Freiheit, die dieses Projekt für sie bedeutet – persönlich wie beruflich.

Joyce DiDonato

Können Sie sich an das erste Mal erinnern, als Sie Emily Dickinsons Werk begegnet sind? War das Liebe auf den ersten Blick?

Joyce DiDonato: Während meines Studiums kam ich erstmals mit Emily Dickinsons Werk in Kontakt, als ich einige von Aaron Coplands Vertonungen ihrer Gedichte für mein Abschlusskonzert einstudierte. Ihre Poesie hat mich so sehr bewegt, dass ich mich 2007 entschloss, Coplands gesamten Liederzyklus Twelve Poems of Emily Dickinson für meine erste Solo-CD einzuspielen. Ich bin mir nicht sicher, ob „Liebe auf den ersten Blick“ der passende Ausdruck für das ist, was ich empfunden habe, aber ihre Texte haben mich direkt ins Herz getroffen. Ich wusste sofort, dass sie für immer Teil meines künstlerischen Lebens sein würden.
 

Sie haben im Rahmen der szenischen Uraufführung der Oper The Hours an der Metropolitan Opera in New York schon 2022 mit Komponist Kevin Puts zusammengearbeitet. Warum ist er der richtige für ein Musiktheaterwerk über Emily Dickinson?

Das Stück Emily – No Prisoner Be basiert ganz und gar auf Kevins Idee und seinem Konzept. Er hat mir erzählt, dass er schon bei seiner ersten Begegnung mit Dickinsons Gedicht „They shut me up in Prose“ wusste, dass er es vertonen möchte. Eine solche Verbindung zweier künstlerischer Seelen sorgt oft für ein wahres Feuerwerk an Kreativität – so auch hier. Gleichzeitig hat Kevin Puts aber auch ein wunderbar kindliches Staunen und eine Ehrfurcht gegenüber der Würde, der Einfachheit und dem Umfang von Emily Dickinsons Sprache: eine echte Traumkombination!

Wie interagiert die Musik von Emily – No Prisoner Be mit Dickinsons Poesie? Folgt sie ganz dem Text, oder widerspricht sie ihm bisweilen auch?

Das zu beurteilen, bleibt am besten den Hörenden überlassen – wie sie diesem Werk begegnen und es erleben. Für mich als Sängerin steht die Musik in vollkommenem Einklang mit der Poesie, ja, sie scheint diese sogar auf erstaunliche Weise in ihrem innersten Sinn zu durchdringen und zu durchleuchten. Es fühlt sich an, als wären Kevins Musik und Dickinsons Worte seit jeher dazu bestimmt gewesen, zueinanderzufinden.

Im Stück wird Emily Dickinson durch eine Vielzahl von Stimmen und Geisteszuständen verkörpert werden. Wie werden Sie dies als Sängerin stimmlich und schauspielerisch umsetzen?

Auf dem Weg zur Premiere im August gibt es für uns noch viel zu entdecken, denn Emily – No Prisoner Be ist ja eine Uraufführung. Aber der Zauber dieses Stücks – wie auch der von Dickinsons Poesie – liegt darin, dass jedes Gedicht, jeder einzelne Teil, in einem ganz eigenen Universum existiert. Und doch ist alles wie durch einen unsichtbaren roten Faden miteinander verbunden. Ich weiß nicht, wie Kevin es schafft, mit nur drei Instrumenten und einer Stimme derart unterschiedliche Klangwelten zu erschaffen. Aber auch Emily Dickinson gelingt es, mit nichts weiter als der englischen Sprache ganze Welten von überraschender Farbigkeit, Vielseitigkeit und Einsicht zu erschließen. Der Schlüssel liegt darin, den einzelnen Teilen dieses Werks Raum zu geben, damit sie sich in ihrer ganzen Pracht entfalten können, und darauf zu vertrauen, dass sich daraus ein außergewöhnliches Erlebnis für das Publikum ergeben wird.
 

Ensemble Time for Three mit ihren Instrumenten Bass, zwei Geigen

Gemeinsam mit dem Ensemble Time for Three und dem Komponisten Kevin Puts begibt sich Joyce DiDonato auf eine musikalische Reise durch Emily Dickinsons Poesie.

Das Ensemble Time for Three ist bekannt für seine bemerkenswerte musikalische Vielseitigkeit und für seine Fähigkeit, klassische Musik mit Pop, Jazz, Rock, Folk und Hip-Hop zu verbinden. Welche Rolle spielt Time for Three bei der kreativen Entwicklung von Emily – No Prisoner Be?

Wir haben vor über einem Jahr mit unserer gemeinsamen Arbeit an diesem neuen Werk begonnen. Alle paar Monate haben wir uns getroffen, um die einzelnen Teile zu erkunden und zu verfeinern. Es war eine zutiefst bereichernde Zusammenarbeit – voller Freude, Vertrauen und künstlerischer Inspiration. Kevin Puts machte sich eifrig Notizen, wir Musiker:innen hinterfragten die Tempi – und landeten schließlich genau bei der von ihm in der Partitur angegebenen Markierung. Vor allem aber haben wir viel gelacht und uns oft umarmt. Wir haben auch zwei wunderbare Wochen fernab der Stadt, in der stillen Landschaft nördlich von New York City verbracht, um gemeinsam die Aufnahmen für Emily – No Prisoner Be zu realisieren – eine geradezu luxuriöse Zeitspanne, um ein so komplexes Werk einzuspielen. Wir möchten Emily Dickinson die Bühne geben, die sie verdient – und hoffen, dass es uns gelingen wird, das Publikum damit tief zu berühren. Es war – und ist – eine echte Herzensgemeinschaft, während wir alle auf das bestmögliche Ergebnis hinarbeiten. Ein Teil von mir ist fast ein wenig traurig darüber, dass unser gemeinsames Leben in dieser kleinen, kreativen, isolierten Welt bald zu Ende sein wird.

Regisseur Andrew Staples hat von einem sehr offenen Probenprozess mit viel Improvisation berichtet. Wie haben Sie als Sängerin, die eher mit den stark strukturierten Probenzeiten einer Oper vertraut ist, diese Freiheit erlebt?

Ich lebe für diese Art von Freiheit! Emily – No Prisoner Be ist das kreativste Projekt, an dem ich je beteiligt war. Es hat mich sowohl beruflich als auch persönlich weitergebracht. Wir alle sind ganz darauf konzentriert, dass dieses Stück die größtmögliche Wirkung hat, und zwar ohne eine Spur von Ego. Es ist wie im Paradies!
 

Wir möchten Emily Dickinson die Bühne geben, die sie verdient.

Joyce DiDonato

Joyce DiDonato zählt zu den führenden Opernsängerinnen der Gegenwart. Geboren in Kansas (USA), erlangte sie internationale Bekanntheit mit Rollen in Werken von Händel, Mozart und Rossini. Ihre warm timbrierte Stimme, technische Brillanz und darstellerische Intensität begeistern Publikum und Kritik weltweit. Neben ihrer Opernkarriere engagiert sich DiDonato für Musikvermittlung und soziale Projekte. Mit innovativen Programmen und starken Botschaften setzt sie neue Maßstäbe im klassischen Musikbetrieb.