Das Gespräch führte Rolf App.
Der Text erschien in Ausgabe 2 (03/25).
Lesezeit 5 Min.
„Mich treibt eine verspielte Detailverliebtheit“

Die Kostümbildnerin Gesine Völlm hat sich viel einfallen lassen, um Philipp Stölzls schaurig-schöner Inszenierung von Carl Maria von Webers Der Freischütz auf der Bregenzer Seebühne optisch den letzten Schliff zu geben. Der Aufwand dafür ist enorm.
Ein Ausschnitt aus Erlebnis Österreich: Der Freischütz (Erstausstrahlung im Juli 2024) mit Einblicken in das Kostümatelier der Bregenzer Festspiele und einem Interview mit Kostümbilderin Gesine Völlm.
Eine Produktion des ORF Landesstudio Vorarlberg
Ihr Name ist unserem Publikum bestens bekannt: Zweimal haben Sie bereits für Produktionen im Festspielhaus die Kostüme entworfen – für Hamlet von Franco Faccio (2016) und Nero von Arrigo Boito (2021), beide unter der Regie von Olivier Tambosi. 2024 folgte die Seebühne: Der Freischütz in der Inszenierung von Philipp Stölzl. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Gesine Völlm: Im September 2022 hat mich die damalige Intendantin Elisabeth Sobotka angefragt, ob ich die Kostüme für das Stück entwerfen würde. Aus Zufall hatte ich den Sommer 2024 noch frei. Ich habe sofort zugesagt und voller Jubel Lenka Radecky angerufen, die Leiterin der Kostümabteilung.
Philipp Stölzl führt nicht nur Regie, er entwarf auch das Bühnenbild. Wie haben Sie sich in ihrem ersten gemeinsamen Projekt aufeinander abgestimmt?
Wir haben festgestellt: Wir kommen ästhetisch aus einem ganz ähnlichen Stall. Philipp war in jungen Jahren an den Münchner Kammerspielen Assistent von Jürgen Rose, bei dem ich in Stuttgart studiert habe. Auf diese gemeinsame Prägung hat er dann zurückgeführt, dass er, wie er sagte, „die innere Melodie“ meiner Freischütz-Kostüme so gut verstehe. Es gibt also, um es sinnlich auszudrücken, eine gewisse süddeutsche Kulinarik in unserer Ästhetik. Hinzu kommt, dass wir beide viel Erfahrung mitbringen und sehr genau auf dramaturgische Zusammenhänge achten. Aus unseren Erfahrungen mit dem Freischütz heraus haben wir darum bereits weitere gemeinsame Projekte ins Auge gefasst.
Wie zeigt sich diese „Kulinarik in der Ästhetik“?
Mich treibt beim Entwerfen von Kostümen eine verspielte Detailverliebtheit, in die ich gerne auch eine gute Portion Humor packe. Ich dichte den Figuren Eigenschaften an, denke mir Typen aus – ohne mich über sie lustig zu machen, aber sie bringen mich zum Schmunzeln. Und das macht die Erzählung reicher.
Was unterscheidet Sie von Stölzl?
Er ist ein Allrounder, der vom Theater über die Oper bis zum Film und sogar Musikvideos alle möglichen Genres mit der ihm eigenen Leichtigkeit und Stilsicherheit bespielt. Ich hingegen habe zwar auch einmal als Bühnenbildnerin gearbeitet, mich aber dann entschieden, mich zugunsten meiner Passion einzuschränken auf die Kostüme – und auf die Oper. Zum Film traue ich mich noch nicht so recht, aber vielleicht kommt das noch.

Rund 150 Kostüme wurden für den Freischütz auf der Seebühne gefertigt, jedes davon ist ein Einzelstück
Wie muss man sich das erste gemeinsame Treffen vorstellen? Worüber haben Sie diskutiert?
Zuerst hat er mir gezeigt, wie die Bühne aussehen wird – mit dieser verschneiten Landschaft, einem dystopischen, versunkenen Dorf nach einer großen Flut, und mit der vereisten Wasserfläche davor. Da spielt die Handlung in einem gefühlten Mittelalter, mit Zaubereffekten und einer großen Portion Grusel. Der Chor sollte wie in einem Wimmelbild eine Folie bilden für die farbig dominanteren Solist:innen. Philipp hat mir auch die Winterlandschaften von Pieter Bruegel d. Ä. ans Herz gelegt. Ich bin danach total glücklich nach Hause gegangen und habe sofort angefangen, Gesichter zu sammeln von alten Daguerrotypien – den ersten massentauglichen Fotografien – und zu zeichnen. Irgendwann ist mir auch das Bild einer jungen Frau über den Weg gelaufen, mit langen roten Haaren und einem petrolgrünen Kleid. Das musste die Agathe sein. Einen gewissen Kontrast sollte Ännchen bilden, gekleidet in Gelb-Ocker, mit dunklen Haaren, stärker emanzipiert als Agathe und schon fast maskulin angehaucht.
Sie waren also unablässig mit Philipp Stölzl im Austausch?
Ja, und das hat auch besonders viel Spaß gemacht. Weil Philipp über ein so unglaublich starkes visuelles Vorstellungsvermögen verfügt. Als ich ihm die ersten Entwürfe zugeschickt habe, hat er geantwortet: „Um im Terminus des Stücks zu bleiben: Du bist ja eine Meisterschützin.“ Das hat mich sehr beflügelt. Meine Kostüme sind zwar angelehnt an historische Gewänder aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, sie sind aber in einen neuen dramaturgischen Kontext gestellt und bilden eine ganz eigene Kostümwelt.
Die Begeisterung beim Entwerfen und Realisieren der Kostüme ist unbeschreiblich.
Nun ist diese Bregenzer Freischütz-Bühne ein besonderer Fall. Denn Philipp Stölzl hat in den Vordergrund ein Wasserbecken platziert, wichtiger Schauplatz für viele Szenen. Welchen Einfluss hat all dies auf Ihre Kostüme ausgeübt?
Die historisch aussehenden Schuhe mussten in Mailand aus Kunstleder speziell gefertigt werden, eine bis zwei Nummern größer, wegen der dicken Neoprensocken, die alle anhaben, und mit spezieller, rutschfester Sohle. Bei den Kostümen zeigte sich, dass handgewobene Stoffe besonders widerstandsfähig sind. Einiges musste auch doppelt genäht werden, damit sich die Darsteller:innen nach den Auftritten im Wasser umziehen können. Und: Die Solist:innen tragen unter dem Kostüm unterschiedliche Neoprenanzüge für heiße und für kalte Tage.
In der Szene in der Wolfsschlucht tauchen Wassergeister auf, bei Agathes Traum sind es Nixen. Wie schwierig war das umzusetzen?
Für die Wassergeister haben wir umfangreiche Versuche angestellt. Bleisäume und eine Beschwerung in den Taschen sorgen jetzt dafür, dass die Kostüme nicht an die Wasseroberfläche treiben. Die Wassernixen bekamen Schwimmbrillen und wassertaugliche Lichtsets für ihre Sternenkronen.

Wie hat sich denn diese ganze Erarbeitung und Herstellung der Kostüme abgespielt?
Von Oktober bis Dezember 2022 habe ich gezeichnet und entworfen. Im Januar 2023 haben sich alle Beteiligten im Festspielhaus zur Abgabe getroffen. Wir haben über die Perücken gesprochen, sind ins Stofflager gegangen und haben diskutiert, was noch bestellt werden muss. Im Mai waren erste Prototypen genäht, im November konnten wir eine große Anprobe mit dem Chor machen. Und im Mai 2024, eine Woche vor Probenbeginn, haben dann die individuellen Anproben begonnen – ein Kernstück meiner Arbeit.
Insgesamt wurden für den Freischütz 160 Kostüme und rund 3.000 Kostümteile gefertigt. Hatten Sie nie Angst, dass Sie nicht fertig werden könnten?
Aber nein. In der Kostümabteilung der Bregenzer Festspiele sind so viele fachlich hervorragende Menschen am Werk, die mir zur Seite stehen und eine gewaltige Arbeit leisten. Von der Materialrecherche über die ersten Anproben und Fertigstellung der Kostüme bis zur Instandhaltung. Ein Beispiel nur: In die Kostüme der Wassernixen sind 200.000 Strass-Steinchen von Hand eingeklebt – von denen bei jedem Auftritt wieder einige abfallen.
Stimmt es Sie nicht traurig, dass Sie Kostüme entwerfen, die so rasch wieder aus dem Blickfeld der Menschen verschwinden?
Die Begeisterung beim Entwerfen und Realisieren der Kostüme ist unbeschreiblich. Deshalb schmerzt es mich schon, wenn sie wieder im Dunkel verschwinden. Aber das Leben ist ja auch flüchtig.
Die Kostümbildnerin Gesine Völlm stammt aus Tübingen und hat nach einer Schneiderlehre Bühnen- und Kostümbild bei Jürgen Rose an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart studiert. Seit 1998 gestaltet sie die Kostüme für Regisseur:innen wie Karin Beier, Barbara Frey und Jossi Wieler. Seit 2005 hat sie ihren Schwerpunkt auf Opernproduktionen verlegt und regelmäßig mit Stefan Herheim, Johannes Erath, Nicola Raab, Elisabeth Stöppler und Claus Guth zusammengearbeitet. Dreimal ist sie in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt zur Kostümbildnerin des Jahres gewählt worden.