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Wellen, Festspielzeit

Festspielzeit

Aktualisiert am 27. März 2025

Das Gespräch führte Babette Karner.
Der Text erschien in Ausgabe 2 (03/25). 

Lesezeit 4 Min.

„Gesegnet sind die Unwissenden“

Oedipe-Festspielhaus-Bregenzer Festspiele-Andreas Kriegenburg Portrait

Er tötet seinen Vater, heiratet seine Mutter und ahnt zu keinem Zeitpunkt, was er da tut: Das unheilvolle Leben des Ödipus bewegt die Menschen seit der Antike und wirft Fragen nach Schuld, Schicksal und Verantwortung auf. In der Bregenzer Neuproduktion von George Enescus monumentaler Choroper Œdipe führt der international renommierte Theatermacher Andreas Kriegenburg Regie. Im Interview spricht er über die emotionale Wucht des Werks, die Kraft der Musik – und seine Liebe zum Holz.

Ist es für uns Menschen gesünder, unser Schicksal nicht zu kennen?

Andreas Kriegenburg: Das bitter Faszinierende an der Ödipus-Geschichte ist die Frage, ob es überhaupt eine Chance gibt, dem eigenen Schicksal zu entkommen, und nicht sehenden Auges in die Katastrophe zu schlittern. Müssen wir uns mit dem Unausweichlichen abfinden? Obwohl man sich manchmal durchaus wünscht, man wüsste über sein Schicksal Bescheid, versteht man mit Ödipus auch den Satz: „Gesegnet sind die Unwissenden.“ Er versucht, auf die Prophezeiung der Sphinx, auf diese Warnung vor seinem Schicksal zu reagieren, und erfüllt sie damit. Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der Oper und dem antiken Drama ist allerdings, dass Enescus Œdipe die Frage der Sphinx tatsächlich dahingehend beantwortet, dass der Mensch sein Schicksal ändern und selbst Verantwortung übernehmen kann.

Sie sind ein Regisseur, der seit vielen Jahren sowohl im Schauspiel als auch in der Oper erfolgreich ist. Was liegt Ihnen näher?

Ich arbeite sehr gerne in und mit der großen Emotionalität der Oper. Dennoch sehe ich mich bis heute als Schauspieldirektor, der in die Oper geht – und dort letztlich immer noch zu Gast ist.

Was macht die Oper für einen Regisseur so anders als das Schauspiel?

Für ein Theaterstück kann man mit den Schauspieler:innen sehr konzentriert und aufeinander fokussiert arbeiten. In der Oper hingegen hat man mit dem Orchester, den Sänger:innen und dem Chor einen riesigen Apparat zur Verfügung, der in der Lage ist, tiefe Emotionalität herzustellen. Für mich als Regisseur bietet die Musik einer Oper Halt und Orientierung: eine sowohl dramaturgische als auch psychologische Vorgabe. Bei einem Theaterstück muss ich die emotionale „Komposition“ in meiner Inszenierung selbst herstellen. In der Oper hingegen hilft mir meine Herkunft als Theaterregisseur dabei, mit den Sänger:innen die psychologischen Tiefen und Untiefen der Figuren genau auszuloten.
 

Oedipe-Festspielhaus-Bregenzer Festspiele-Entwurf Sphinx Kostüm

Der Entwurf der Kostümbildnerin Tanja Hofmann zeigt die beeindruckende Figur der Sphinx: Rund 3,5 Meter Spannweite sollen ihre silbernen Flügel haben, die von Statist:innen bewegt werden.

Wie gehen Sie mit der Musik einer Oper um?

Meine Grundaufgabe als Opernregisseur ist es, eine szenische Umsetzung zu finden, die eine Art Unbedingtheit zur Musik herstellt. Musik und Szene sollen miteinander verwoben sein, sollen unmerklich miteinander korrelieren, dass man es sich eigentlich gar nicht anders vorstellen kann. Ich bin kein Regisseur, der versucht, sich dissonant zur Musik zu bewegen oder Opern neu zu interpretieren: Ich bewege mich entlang der Musik.

Oedipe-Festspielhaus-Bregenzer Festspiele-Bühnenbildmodell Oedipe

Den vier Lebensabschnitten des Œdipe ordnen Andreas Kriegenburg und sein Bühnenbildner Harald B. Thor vier Farb- und Materialwelten zu.

Enescus Œdipe ist bekannt für ihre monumentalen Klangwelten und dramatischen Szenen. Wie übersetzt man diese musikalische Wucht in eine visuelle Sprache?

Ich habe einen sehr direkten, unverstellten und unkomplizierten Zugang zu den Stücken, die ich mache. Auch in der Oper versuche ich immer, ein Erzähler zu sein. Ich möchte Geschichten sehr genau nachzeichnen und sie – auch wenn sie komplex oder irrational sind – so auf die Bühne bringen, dass sie verständlich werden. Bei der Oper Œdipe ist das gar nicht so einfach, weil Enescus Musik sehr konzertant und oratorienhaft ist und die Geschichte sehr philosophisch. Aber genau das gefällt mir, das liegt mir.

In unserer Bregenzer Inszenierung werden wir die vier großen Lebensabschnitte des Œdipe als einzelne Minidramen erzählen. Um dies für das Publikum nachvollziehbar zu machen, ordnen wir den vier Akten in Form von Farben und Materialien einzelne Elemente zu. Im ersten Akt ist es das Element des Feuers, der Bewegung, der Lebendigkeit, der Wildheit. Im zweiten Akt dominiert das Element des Wassers, also des Unbeständigen, aber auch des Nebels, des Undurchsichtigen, des Orientierungslosen, des Wegsuchenden. Der dritte Akt, die Pest in Theben, ist der Asche, dem Verbrannten zugeordnet, und der vierte Akt, der Tod des Œdipe, wird von Holz und Erde geprägt sein, als Zeichen für den Neubeginn eines Zyklus.
 

Oedipe-Festspielhaus-Bregenzer Festspiele-Bühnenbildmodell Oedipe

Es fällt auf, dass Sie in Ihren Inszenierungen generell sehr gerne mit Holz arbeiten.

Ja, ich mag Holz. Zum einen, weil es für die Bühnenakustik hervorragend funktioniert, zum anderen, weil unbehandeltes, sägeraues Holz das Bühnenbild aus seiner Künstlichkeit hebt und zu seinen natürlichen Ursprüngen zurückführt. Auch Wasser und Erde sind Materialien, mit denen ich sehr gerne arbeite.

Hatten Sie schon als Kind Interesse am Theater?

Nein, dass ich Regisseur geworden bin, war reiner Zufall. Natürlich war ich als Kind im Theater, aber ich komme nicht aus einem kunstnahen Elternhaus. Ich hatte eine eher bürgerliche Kindheit, in geordneten Verhältnissen, aber fern der Kunst. Ich habe eine Lehre als Modelltischler in einem Großbetrieb gemacht und bald gemerkt, dass dieser Zwang, diese große Regelmäßigkeit und die Stechuhr nichts für mich sind. Dann bin ich zufällig ans Theater geraten und war sofort verloren.

Andreas Kriegenburgs Weg zu einem der einflussreichsten Theater- und Opernregisseure der Gegenwart begann in der Tischlerei der Städtischen Bühnen seiner Heimatstadt Magdeburg. Nach dem Mauerfall 1989 prägte er als Regisseur neben Frank Castorf die Volksbühne in Berlin, war Hausregisseur am Staatstheater Hannover, am Burgtheater in Wien, am Thalia Theater in Hamburg und am Deutschen Theater in Berlin. Seine Karriere als Regisseur und Bühnenbildner führte ihn an die wichtigsten deutschsprachigen und europäischen Theater. Einige seiner Inszenierungen gelten als wegweisend und stilprägend: Sie beeinflussen Theaterschaffende bis heute. Nonchalant pendelt er zwischen Webers Der Freischütz und Sophokles’ Antigone, zwischen Shakespeare, Brecht und Palmetshofer. Doch so unterschiedlich diese Werke auch sind, sie haben einen gemeinsamen Nenner: Kriegenburgs ebenso scharfen wie einfühlsamen Blick auf menschliche Schicksale.

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