Text: Rolf App
Der Text erschien in Ausgabe 1 (11/25).
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Verbündete in allen Stimmungslagen
Seit der Gründung der Bregenzer Festspiele im Jahr 1946 begleiten die Wiener Symphoniker deren Produktionen und bestreiten Konzerte. Höchste Zeit deshalb, im vergangenen Sommer einige ihrer Musiker:innen kennenzulernen – und mit ihnen über ihre innige Beziehung zu ihren Instrumenten zu sprechen.

Als Bildtext: Seit der Saison 2024/25 stehen die Wiener Symphoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Petr Popelka.
Draußen vor dem Festspielhaus sammeln sich schon die Besucher:innen für die abendliche Vorstellung auf der Bregenzer Seebühne, drinnen warten die Geigerin Dorice Köstenberger, die Fagottistin Ryo Yoshimura und der Solocellist Michael Vogt. In einer Stunde werden sie sich im Saal bereit machen für die Oper auf dem See, jetzt erzählen sie, wie es ihnen ergeht mit ihren Instrumenten, die ihre Partner sind auf Gedeih und Verderb. So wichtig, dass Dorice Köstenberger als junges, sehr begabtes Mädchen ein Jahr lang gesucht hatte, bis sie „ihre“ Geige gefunden hat – ein über vierhundert Jahre altes Instrument des Holländers Hendrik Jacobs, dessen Klang farbig und nuanciert ist. „Sie hat ein kleines Bäuchlein“, sagt Dorice Köstenberger liebevoll. Die glücklichsten Tage brechen an, wenn sie sie, zwei Mal im Jahr, zu jener Geigenbauerin bringt, die sie „zum Blühen gebracht“ habe. Doch es gibt auch andere Tage. „Schon wenn ich am Morgen die ersten Töne spiele, weiß ich: Das wird heute leicht, oder es wird ein Kampf. Man darf dann nicht nachgeben.“
Schon wenn ich am Morgen die ersten Töne spiele, weiß ich: Das wird heute leicht, oder es wird ein Kampf.
Michael Vogt kann das bestätigen, der seit 2012 ein von einer Privatstiftung zur Verfügung gestelltes Cello von 1705 spielt. „Das Instrument will atmen“, sagt er. „Und es reagiert zum Beispiel auf die Thermik, dann kann sich das Ansprechverhalten total ändern. Hier in Bregenz ist die Luft feuchter als in Wien, oder auch als oben im Bregenzerwald, wo ich während der Festspielsaison wohne. Darauf muss ich Rücksicht nehmen, muss anders spielen. Was man in vielen Jahren aber lernt.“
Als „normaler Musiker“ könne man sich ein solches Instrument niemals leisten, „höchstens vielleicht als hochbezahlter Solist“, fügt Vogt noch bei. Das gilt in verschärftem Maß für jene Geige, die seit zwei Jahren Dalibor Karvay zur Verfügung hat, der Erste Konzertmeister der Wiener Symphoniker: eine echte Stradivari, gebaut 1694 und, wie Karvay sagt, „in einem sehr guten Zustand“. Mit wenig Rissen und viel Originallack“, erzählt er am Telefon in Wien. „Sie ist speziell und wollte am Anfang auch nicht alles mitmachen, sie verträgt nicht viel Druck. Mittlerweile aber kennen wir uns gut.“ Man spüre, wie viele hervorragende Geiger darauf schon gespielt hätten. Die nach einem der frühen Besitzer „Ex-Bennecke“ benannte Stradivari ist Teil der großen Instrumentensammlung der Österreichischen Nationalbank, die nicht nur Österreichs tiefe Verbundenheit mit der Kultur beweist, sondern auch eine lukrative Geldanlage für die Bank darstellt. Denn getrieben von reichen Investor:innen, steigen die Preise für solche Instrumente der Spitzenklasse Jahr für Jahr. Kürzlich sei ein Violinbogen für elf Millionen Euro versteigert worden, erzählt Dorice Köstenberger. Wohlgemerkt: nur der Bogen – der allerdings mindestens so wichtig ist wie das Instrument selbst.
Ryo Yoshimura hat solche Probleme mit ihrem Fagott nicht, dafür andere. Zwei Jahre lang musste sie auf ihr von der führenden Instrumentenbaufirma Heckel neu gebauten Fagott warten, jetzt hat sie Tag für Tag eine knifflige Aufgabe zu lösen: Sie muss entscheiden, welches Mundstückrohr sie verwenden will, und wie sie es unter Umständen noch mit dem Messer zurechtschaben muss. „Ich habe eine Reihe solcher Rohre in einer Schachtel dabei“, erklärt sie. „Was ich in Wien im Orchesterkonzert verwende, kann ich hier in Bregenz nicht brauchen. Und manchmal hängt die Wahl des Mundstückrohrs auch vom Stück ab, das wir spielen.“
Die Musiker:innen und ihre Instrumente – das ist ein nahezu unerschöpfliches Thema. Das kann Jan Nast bestätigen, gelernter Hornist, seit 2019 Intendant der Wiener Symphoniker und zuvor 22 Jahre lang Orchesterdirektor der Sächsischen Staatskapelle Dresden, eines der ältesten Orchester überhaupt.
„Während alte Instrumente bei den Streichern hoch im Kurs sind – obwohl es moderne Nachbauten gibt, die ganz hervorragend klingen –, ist die Situation zum Beispiel bei den Bläsern eine ganz andere“, erklärt er. „Die Blechblasinstrumente nutzen sich mit der Zeit ab, außerdem hat da der Instrumentenbau in den letzten fünfzig Jahren enorme Fortschritte gemacht.“ Gerade habe er in Bregenz einen Trompeter getroffen mit mehreren großen Kisten, „er hatte fünf verschiedene Modelle zur Probe bestellt und führte sie nun seinen Kollegen vor, damit die neue Trompete vom Klang her auch passt.“
Denn, bei aller Vielfalt der Instrumente, zusammen müssen die Musiker:innen der Wiener Symphoniker einen Klang erzeugen. Was doch, jedes Mal, einem kleinen Wunder gleichkommt – und wofür Jan Nast und die drei Musiker:innen durchaus Erklärungen haben. Nast erwähnt drei besondere Instrumente: die Wiener Oboe, das Wiener Horn, und die speziell bespannte Pauke. Weiter den weichen, etwas süßlichen Klang („nicht so maskulin, eher feminin“) und die leichte Unschärfe in der Spielweise. Schließlich die Tatsache, dass schon beim Probespiel darauf geachtet wird, bei wem jemand studiert hat. „Die Menschen müssen zusammenpassen“, sagt Michael Vogt, „sie müssen lernen, dass sie Teil eines Ganzen sind.“ Und Dorice Köstenberger fügt hinzu: „Wichtig ist, dass das Vibrato übereinstimmt, und dass wir gemeinsam atmen. Da ist auch viel Intuition im Spiel.“ Also doch ein kleines Wunder. Seit 1986 gehört Köstenberger den Ersten Geigen an, bald ist Schluss, wenn sie in Pension geht. „Das wird mir schwerfallen“, sagt sie. Denn so ein Orchester, das ist auch Heimat.
Seit Gründung des Festivals 1946 verbringen die Wiener Symphoniker jeden Sommer als „Orchestra in Residence“ bei den Bregenzer Festspielen. Sie leben und arbeiten dabei gut eineinhalb Monate in ihrer zweiten Heimat am Bodensee. Neben den Auftritten als Opernorchester bei den Aufführungen auf der Seebühne und der Oper im Festspielhaus gestalten die begeisterten Sommer-Vorarlberger:innen traditionell drei Orchesterkonzerte mit bedeutenden Dirigent:innen und Solist:innen der klassischen Musik.
