Text: Babette Karner
Der Text erschien in Ausgabe 1 (11/25).
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Briefe und Blumen: drei Tage zwischen Film und Bühne
In einem Studio am Rande des Wienerwalds entstehen an drei Tagen Filmszenen für La traviata – Bilder, die im Sommer Teil der Oper auf der Seebühne sein werden. Ein Blick in den zweiten Drehtag – auf ein Stück Bühnenwirklichkeit zwischen Oper und Film.

In der kleinen Wienerwald-Gemeinde Tullnerbach, wo zwischen Hügeln und Einfamilienhäusern die Vögel lauter sind als die Autos, steht das Filmstudio von „Vienna Sound Vienna Light“.
An drei Tagen im Oktober entstehen hier Schlüsselszenen aus dem Leben der Violetta Valéry, die später Teil der Inszenierung von La traviata auf der Bregenzer Seebühne sein werden. Der Dreh ist ein seltenes Zusammentreffen zweier Kunstformen – Theater und Film, zwei Arbeitsweisen, die ineinandergreifen müssen: die Detailverliebtheit des Films und die „Es muss live funktionieren“-Mentalität des Theaters.
Organisiert hat den Dreh die Wiener Werbefilmproduktion studio draussen, im Studio vertreten durch Geschäftsführer und Executive Producer Christoph Schramm und General Manager Robin Uthe. „Normalerweise drehen wir Werbespots. Dafür wird wochenlang alles minutiös vorbereitet – und am Drehtag muss jedes Detail exakt stimmen“, sagt Robin. Bei diesem Dreh hingegen ist einiges etwas flexibler: „Manchmal wird erst im Moment entschieden, welche Requisite tatsächlich gebraucht wird.“ Bindeglied zwischen den Welten des Films und der Oper ist der aus Graz stammende Light- und Videodesigner Roland Horvath, der bei La traviata für Licht und Video verantwortlich ist. Regie führt Seebühnen-Regisseur Damiano Michieletto.
Knapp dreißig Menschen wuseln morgens um halb zehn durchs Studio: Bühnenbildner:innen vom Filmset und von der Oper, Licht-, Kostüm- und Maskenverantwortliche, dazu Regisseur Damiano Michieletto und die Schauspieler:innen. Requisiten werden platziert, Scheinwerfer und Bildschirme justiert, eine große Palme wird vom Hof hereingeschoben.
Mehrere Sets sind aufgebaut – eine Sofaecke, ein Bett mit goldenem Überwurf, Violettas Frisierkommode mit einem üppigen Strauß echter, pinkfarbener Lilien.
Die Produktionsleitung liegt bei Regieassistentin Marie-Therese Hildenbrandt. Bei ihr laufen Kunst und Technik zusammen. Mit Headset, ruhiger Präzision und viel Geduld koordiniert sie das Geschehen und behält stets den Überblick. Heute, am zweiten Drehtag, dreht sich fast alles um Briefe: Violettas Abschiedsbrief an Alfredo, den sie auf Geheiß seines Vaters Giorgio Germont schreibt, und jener Brief von Germont, indem er sie später um Verzeihung bittet.
Violetta – für die Filmszene gespielt von Katharina Pizzera – sitzt im Negligé vor einem Sofa aus dunkel-grünem Samt. Sie zerreißt einen Brief, zündet ihn an. Das Kamerabild wird in Echtzeit auf einen Bildschirm auf das Modell der La traviata-Bühne am Bodensee übertragen. So kann das Team sehen, wie die Szene später als riesige Projektion auf der Seebühne wirken wird. „Das macht es viel leichter, sich das Endergebnis vorzustellen“, sagt Ausstattungsleiterin Susanna Boehm. Zusammen mit Damiano Michieletto und Roland Horvath beobachtet sie die Szene am Monitor. „Giuseppe, weiter nach rechts! Nein, nicht so weit!“, ruft Damiano. Giuseppe Torcaso, Director of Photography, trägt seine Steadycam wie eine futuristische Rüstung und wiederholt mit stoischer Ruhe jede Einstellung, bis alle zufrieden sind. Zwischendurch frischt Bea John von der Festspiel-Maskenabteilung Violettas Make-up auf, und Gianluca Cataldo, Assistent von La traviata-Bühnenbildner Paolo Fantin, drapiert die Requisiten auf dem Couchtisch um. Soll die Whiskey-Karaffe bleiben oder nicht? „Wenn wir sie jetzt wegnehmen, können wir alles, was wir schon gedreht haben, wegwerfen“, warnt Roland Horvath. Aber Damiano gefällt die Flasche nicht. Marie-Therese vermittelt, der Whiskey kann bleiben.
Violetta zerreißt inzwischen den dritten Brief. Sie soll die Schnipsel in einer kleinen Schale anzünden, doch das Feuerzeug streikt. Gelächter. „Konzentration bitte“, ruft Marie-Therese, „wir haben nicht unendlich viele Briefe!“
Seit zwanzig Minuten sitzt die Schauspielerin vor dem samtenen Sofa mit untergeschlagenen Beinen – ob die wohl schon eingeschlafen sind? Schauspieler:innen brauchen nicht nur Talent, sondern auch viel Geduld. Und unempfindliche Gliedmaßen. „Schneller, natürlicher!“, ruft Damiano, als Violetta den vierten Brief zerreißt. Noch einmal.
Maskenbildnerin Bea John arbeitet seit 25 Jahren jeden Sommer bei den Bregenzer Festspielen, während des Jahres in Berlin beim Film. Ein Glücksfall. Sie kennt die Abläufe – und die Kommandos. Violettas Make-up braucht noch einmal ihre Aufmerksamkeit, bevor die Schauspielerin den fünften Brief zerreißt. Oder ist es schon der sechste? „Cut!“, ruft Damiano.
Lenka Radecky, Leiterin der Bregenzer Kostümabteilung, organisiert gemeinsam mit ihrem Team und der La traviata-Kostümbildnerin Carla Teti die Kleidung der Schauspieler:innen. „Es sind die Originalkostüme unserer Seebühnenproduktion.“ Im improvisierten Fundus hängen an langen Stangen Roben und Negligés aus Spitze und Seide im Stil der 1920er Jahre. Eine Kollegin verpackt vorsichtig die Federboas des gestrigen Drehs. In einer Ecke stehen drei Nähmaschinen für Änderungen und Reparaturen.
Alles ist bereit für die nächste Szene. In einer eleganten Morgenrobe sitzt Violetta an ihrer Frisierkommode, eine Vase mit pinkfarbenen Lilien spiegelt sich darin, das Licht ist gedämpft. „Focus first on her, then on the mirror“, ruft Roland Horvath. Der Kontrast zwischen der zarten Violetta in gelber Seide und Steadycam-Operator Giuseppe, ganz in Schwarz mit dem schweren Gestell um Bauch und Schultern, könnte kaum größer sein. „Roll camera“, ruft Marie-Therese, und dann: „Pssst!“ Jemand ist im Finstern gegen einen Stuhl gerannt. Alles von vorn.
Am Nachmittag steht „Spiegel zertrümmern“ auf dem Drehplan. Die Set-Designerin montiert einen unzerbrechlichen Plexiglasspiegel auf Violettas Frisiertisch. Damiano erklärt Caner Demirbag, der im weißen Anzug mit welligem, zurückgegeltem Haar den Alfredo spielt, die Szene. „Du bist wütend und verzweifelt, weil Violetta dich verlassen hat. Also zerstörst du ihren Frisierspiegel – ihre persönliche Sphäre.“
„Go!“, ruft Damiano, und Alfredo stürmt auf den Spiegel zu, schleudert die rosa Lilien weg. „Go!“, ruft Damiano wieder, und die Vase fliegt von der Kommode. Beim dritten „Go!“ donnert Alfredo die goldene Schatulle mit Verve gegen den Spiegel. „Cut!“, ruft Marie-Therese. „Gut“, sagt Damiano, „nochmal.“ Alfredo holt aus, schlägt mit voller Wucht zu – jetzt hat das Plexiglas eine kleine Delle. Damiano nickt zufrieden. Gianluca räumt die Blumen ab und bringt einen neuen Strauß. Süßlich schwerer Liliengeruch hängt in der Luft.

Jetzt wird der echte Spiegel auf die Frisierkommode geschraubt. Damiano Michieletto nimmt den Hammer – den Spiegel zu zertrümmern, ist Chefsache. Schiffe werden mit Champagnerflaschen getauft, die Bregenzer La traviata mit einem kleinen Hammer. Drei Schläge, dann passt der Look. Nun ist Alfredo wieder dran: Die Schatulle trifft jetzt den zerbrochenen Spiegel. Die Kamera bleibt auf seinem Gesicht, der verzweifelte Schrei, den er ausstößt, geht den Umstehenden unter die Haut. „Danke, sehr schön.“
Der Tag klingt aus mit einer letzten Probe für die nächste Szene. Draußen dämmert der Wienerwald, und irgendwann sagt jemand: „Das war’s für heute.“ Drei Tage Film, drei Tage Oper, viele Welten unter einem Dach. Morgen geht es weiter.
