Bregenzer

Festspielzeit

blaue illustrierte Wellen
Last change on 31. Juli 2025

Text: Lena Flauger
Der Text erschien in Ausgabe 4 (07/25).

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Und trotz allem komponierten sie ...

Was wäre, wenn wir Musikgeschichte noch einmal ganz neu schreiben könnten und dieses Mal denen lauschten, die immer vergessen werden? Genau diese Frage stellt ein Konzertabend mit dem programmatischen Titel All About Eve – und antwortet mit Musik und Worten jener Frauen, deren Werke viel zu lange unbeachtet blieben.

Sophie Heinrich und Maria Radutu sitzen Rücken an Rücken auf Stühlen vor einer Steinmauer, Sophie hält eine Geige und beide lächeln entspannt

Zwei Musikerinnen laden zu einer Zeitreise durch die Musik großer Komponistinnen ein, berichten aus ihren Leben und rücken damit ein umfassendes, reiches Erbe ins Licht: Eva mal ohne Adam. Die beiden Künstlerinnen Sophie Heinrich (Violine) und Maria Radutu (Klavier) verbindet mehr als ihre Passion für Musik und ihre Kunstfertigkeit am Instrument: Sie sind Geschichtenerzählerinnen. Schon in ihren solistischen Programmen haben sie eigene Wege geschaffen, um bekannte und unbekannte Musik ans Publikum heranzutragen und verschiedenste Komponistinnen nahbar und begreifbar zu machen. Was lag also näher, als sich zusammenzutun: Gemeinsam begaben sie sich auf Spurensuche – und stießen auf beeindruckende Lebensgeschichten und bewegende Werke. Diesen Schätzen eröffnen Heinrich und Radutu nun die Bühne.

Den Anfang in ihrem vielseitigen Programm machen die Schwestern Boulanger. In ihrem kurzen, von schwerer Krankheit geprägten Leben komponierte Lili Boulanger (1893–1918) eine Fülle ausgeklügelter Werke und konnte große Erfolge verzeichnen. So gewann sie 1913 nach nur einem Jahr Kompositionsstudium als erste Frau den Grand Prix de Rome und schloss anschließend einen Vertrag mit dem Musikverlag Ricordi ab. Auch ihre Schwester Nadia Boulanger (1887–1979) war eine erfolgreiche Komponistin, errang den ersten Preis für Komposition in der Klasse von Gabriel Fauré und wurde im Jahr 1920 Dozentin für Komposition an der École normale de musique. Das begründete ihre jahrzehntelange Tätigkeit als Pädagogin, aus der eine ganze Reihe namhafter Komponist:innen und Musiker:innen hervorging, darunter Leonard Bernstein, Daniel Barenboim, Astor Piazzolla und Philip Glass. Während man diesen beiden Schwestern bereits zu Lebzeiten Wertschätzung entgegenbrachte, wurden der kürzlich verstorbenen Sofia Gubaidulina (1931–2025) vonseiten der sowjetischen Regierung Steine in den Weg gelegt. Die Zusammenarbeit mit dem Kulturministerium der UdSSR hatte sie 1965 ausgeschlagen. Solche Verweigerung hatte weitreichende Folgen und führte von Aufführungsverboten über verspätete Drucklegungen bis hin zur Stigmatisierung.

Ähnlichen Widrigkeiten musste sich auch Florence Beatrice Price (1887–1953) in den USA stellen. Zu Zeiten der sogenannten Rassenunruhen standen die Musikverlage der Veröffentlichung von Werken Schwarzer Komponist:innen mehrheitlich ablehnend gegenüber.

Dennoch wurden Prices Kompositionen landesweit in großem Umfang aufgeführt und auch in Rundfunk und Fernsehen gesendet – und das, obwohl jede Aufführung somit anhand ihrer unveröffentlichten Manuskripte erfolgen musste.

Mit diesen und anderen Zeiten der US-amerikanischen Geschichte beschäftigt sich in neuerer Zeit Nkeiru Okoye (*1972). In ihren Werken treffen kulturelle Identität und gesellschaftliches Bewusstsein aufeinander.

Doch nicht nur rassistische oder politische Ächtung konnte Komponistinnen ihr Schaffen erschweren, auch bürgerliche Erwartungen wurden oft zum großen Hindernis: Während Florence Price erst nach ihrer Hochzeit und der Geburt ihrer drei Kinder mit dem Komponieren begann, bedeutete eine Heirat für die meisten Frauen ihr Karriere-Aus. So musste die US-Amerikanerin Amy Beach (1867–1944) nach ihrer Hochzeit auf Anordnung ihres Ehemannes ihre Konzerte als Pianistin auf maximal zwei Auftritte pro Jahr reduzieren und ihre Honorare für wohltätige Zwecken spenden. Ihre Kompositionen wurden fortan unter „Mrs. H. H. A. Beach“ veröffentlicht – den Initialen ihres Mannes. Erst nach dessen Tod griff sie mit einer höchst erfolgreichen Konzerttournee ihre Karriere erneut auf und wurde 1925 die erste Präsidentin der Society of American Women Composers. In Europa war im gleichen Zeitraum wie Amy Beach Dora Pejačević (1885–1923) tätig, eine der ersten Komponistinnen Kroatiens, die Orchesterwerke schuf und in ihrem Heimatland als Pionierin der Spätromantik gilt. Die Brücke, die diesen reichhaltigen Konzertabend mit der Gegenwart verbindet, wird neben Nkeiru Okoye mit der russisch-österreichischen Komponistin Lera Auerbach (*1973) geschlagen.

Heinrich und Radutu spielen nicht bloß, was ohnehin bekannt und verlegt ist. Sie zeigen, wie unterschiedlich, komplex, differenziert und feurig die Komponistinnen geschrieben haben. Wer sich auf diese Reise einlässt, wird nicht nur Musik hören, sondern Stimmen, Leben und Geschichten von Mut und Widerstandskraft erleben – und die Möglichkeit bekommen, einen anderen Blick auf Musikgeschichte zu werfen.