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Wellen, Festspielzeit

Festspielzeit

Aktualisiert am 26. November 2024

Das Gespräch führte Florian Amort.
Der Text erschien in Ausgabe 1 (11/24). 
 

Lesezeit 6 Min.

Persönlichkeiten in Öl und Acryl

Gemälde der Künstlerin Vivian Greven begleiten die Produktionen des Festspielsommers 2025
 

Vivian Greven - Portrait

Die Künstlerin Vivian Greven in ihrem Atelier.

Das Theater ist ein Ort, an dem Menschen über Grenzen hinweg miteinander kommunizieren – ein Raum, in dem Emotionen, Empathie und kulturelle Identität zusammenfließen. Die auf der Bühne erzählten Geschichten und die im Musiktheater zu hörenden Klänge ermöglichen es uns, in verschiedene Zeiten, Kulturen und Perspektiven einzutauchen. Wollen Sie in Ihren Gemälden auch Geschichten erzählen?

Vivian Greven: Ich habe parallel zur Kunstakademie Anglistik und Amerikanistik studiert. Es interessiert mich, welche Geschichten uns prägen und formen. Tief in mir verankert ist die Überzeugung, dass wir über das, was wir uns erzählen, überhaupt erst zu dem werden, was wir sind. Meine Malerei knüpft an diesen Gedanken an, doch erzähle ich dabei nicht im klassischen Sinn Geschichten. Stattdessen nutze ich Bildmotive, die in sich Geschichten tragen, die über Jahrtausende hinweg als Referenzen wirken. Ein Gemälde ist kein Bilderbuch; vielmehr ist es wie eine Persönlichkeit, der wir auf einer anderen Ebene begegnen können. Diese Ebene wirkt eher intuitiv und spricht über die Bilder zu unserem inneren Erinnerungsraum, jenseits des rationalen Verstehens.

Blickt man auf Ihr Œuvre, lassen sich zwei Bildwelten erkennen: einerseits die griechisch-römische Mythologie mit ihren oft gewaltvollen, von Männern dominierten Geschichten, andererseits die Weiblichkeit in all ihren körperlichen und emotionalen Facetten. Was fasziniert Sie an diesen beiden doch sehr konträren Themen?

Das ist eine interessante Beobachtung. Wenn meine Bilder etwas über das Frausein erzählen, dann ist das Ausdruck meines weiblichen Blicks. Viel entscheidender für mich ist jedoch die Essenz des Menschseins. Meine Bilder handeln davon, wie es ist, Mensch in einem Körper zu sein und diesen Körper zu bewohnen. Besonders fasziniert mich an den mythologischen Motiven ebenfalls dieser Aspekt, jedoch durch die Zeiten hindurch gedacht. Geschichten wie die von Narziss und Echo oder Amor und Psyche, auf die ich oft zurückgreife, erzählen genau davon: von einer Seele, die sich in einer körperlichen Form manifestiert. Mich interessiert, wie diese Seele mit anderen in Kontakt tritt, was in der Verschmelzung, der Abgrenzung oder gar der Auflösung geschieht. Diese psychologischen Fragen begeistern mich und sind das, was ich in meiner Malerei analysiere und in der Tiefe beobachte.

Sie malen einige Motive in Serie, die jedoch stets variieren. Für George Enescus Œdipe haben wir uns sehr früh auf Area III verständigt. Wir sehen darauf den Kopf eines Mannes, der einen Menschen in seinen Armen hält – dieser Mensch ist in dieser Version jedoch beinahe aufgelöst, nur die Konturen bleiben.

 Area III, 2018

Vivian Greven:  Area III, 2018, Bildmotiv für Œdipe
Courtesy of the artist und Kadel Willborn, Düsseldorf; Foto: Ivo Faber

Das Bild ist inspiriert von einer Skulptur Antonio Canovas, in dem Amor und Psyche einander begegnen. Psyche liegt in Amors Armen, im Moment des Erwartens und des Sich-einander-sehen-Könnens – eine Begegnung auf einer inneren Ebene. 

 

Ich habe diese Serie Area genannt, weil es darin um den Raum zwischen den beiden geht: einen Raum, der sie zugleich trennt und die Frage stellt, wie sich dieser Raum in der Begegnung anfühlt und überwinden lässt. In Area III sehen wir, wie Psyche selbst zu einer „Area“ wird; sie löst sich in der Begegnung mit Amor auf und verliert dabei ihre Körperlichkeit. Haut ist hier nicht mehr Membran, sondern geht in die Auflösung des Bildes über, wird Teil der Flächenkomposition.

Nachdem sich Ödipus das Augenlicht genommen hatte, wanderte er jahrelang umher, bis die Götter Gnade zeigten und ihn zurück ins Licht führten. Was ist die Verbindung zu Amor und Psyche?

In der Erzählung von Amor und Psyche steht ebenfalls die Frage des Sehens im Mittelpunkt: Was bedeutet es, sich mit den Augen zu sehen – oder gerade nicht zu sehen? Amor möchte von Psyche nicht gesehen werden, doch Psyche entscheidet sich dafür, ihn sehen zu wollen – ein Entschluss, der zu einem Tod führt. In dem Moment, in dem wir den anderen als Objekt wahrnehmen, stirbt ein Teil unserer Verbindung.

Ein anderes Gemälde, das ebenfalls mit Licht spielt, ist O, das wir für Tero Saarinens Stück Borrowed Light gewählt haben. Was unterscheidet dieses Bild von Area III?
 

Vivian Greven, O, 2017
Vivian Greven: Vivian Greven: O, 2017, Bildmotiv für Borrowed Light
Courtesy of the artist und Kadel Willborn, Düsseldorf; Foto: Ivo Faber

O gehört zur selben Motivgruppe, doch wir blicken hier aus einem anderen Blickwinkel auf die Szene. Während wir in Area III als Betrachter:in Teil der Auflösung werden, erfassen wir in O die Szene sachlicher, fast wie externe Beobachter:innen. Die Malerei lehnt sich stärker an die Skulptur an, wir sehen sogar Amors Flügel – ein Detail, das die Distanz verstärkt und den Fokus auf die Form lenkt.

Lange haben wir uns über Carl Maria von Webers Der Freischütz ausgetauscht und schließlich das Bild Aer I gewählt, zum einen wegen der beiden Hände, die eine Kugel formen, zum anderen, weil sich zwei Menschen berühren wollen und es nicht schaffen. Auch Max und Agathe lieben sich, dürfen sich aber nicht einfach das Jawort geben. Max muss zuerst einen Probeschuss ablegen.

In Aer I sehen wir einen Ausschnitt zweier Figuren, die sich aneinander lehnen und deren Hände in einem rätselhaften Dialog stehen. Sie scheinen sich berühren zu wollen, doch ihre Hände weisen auf etwas Unsichtbares dazwischen. Diese rätselhafte Spannung ist gewollt – das Bild stellt die Frage: Was liegt zwischen uns? Hält uns etwas zurück, wirklich in Kontakt zu treten? In der Originalskulptur halten die Figuren einen Schmetterling, dem sie die Flügel ausrupfen wollen. Der Schmetterling, ein Symbol der Seele, bleibt ohne Flügel als bloßer Wurm zurück und drückt aus, dass wir ohne Liebe oder ohne Gott, also Amor, nur ein Wurm auf Erden sind. In meiner Version habe ich den Schmetterling weggelassen, um die Frage noch weiter zu öffnen: Wer sind wir und was liegt wirklich zwischen uns?

Ein anderes Bild, das zwei Personen in Kommunikation zeigt, ist Vira V. Wir sehen zwei Köpfe, die sich innig zueinander neigen. Es passt gut zu Study for Life, einem Stück, das aus der tiefen Freundschaft zwischen dem Choreographen Tero Saarinen und der Komponistin Kaija Saariaho entstand und Themen wie lebenslanges Lernen und Zuneigung behandelt.

Die Ursprungsmotivation für diese Werkgruppe ist die Idee der Atmung und des Austauschs von Luftpartikeln. Wenn sich Menschen nahekommen, beginnt ein Austausch allein über die Atmung – man nimmt den anderen auf und überträgt Informationen, bewusst oder unbewusst. So entstehen Dialoge, die physische Grenzen überschreiten. Die Köpfe erscheinen zwar getrennt, sind aber auf einer unsichtbaren Ebene verbunden. Diese Werkgruppe arbeitet zudem mit Reliefs und Dreidimensionalität, die den Austausch fast greifbar macht. Die Idee ist, dass auch der:die Betrachter:in in diesen Austausch hineingezogen wird. Es ist ein symbolisches Formenspiel, aber so soll im Idealfall meine Malerei sein: dass sie den, der sie anschaut, berührt und auch ein Teil von ihm wird.

Den Kontrapunkt hierzu könnte die Motivgruppe Crac bilden. Für das dystopische Richtspiel bumm tschak oder der letzte henker von Ferdinand Schmalz wählten wir Crac IV. Hier sehen wir zwei Personen, aber durch einen Zwischenraum getrennt. Sie haben diese Reihe nach längerer Pause fortgesetzt. Was war der Grund?

Vivian Greven: Crac IV, 2022

Vivian Greven: Crac IV, 2022, Bildmotiv für bumm tschak oder der letzte henker
Courtesy of the artist und Kadel Willborn, Düsseldorf; Foto: Ivo Faber

Ich lasse Werkgruppen ruhen, bis ein neuer Aspekt auftaucht, den ich genauer betrachten möchte. Crac rührt an die Grundessenz meines künstlerischen Schaffens: Was bedeutet es, Mensch zu sein? Wann bin ich allein, wann in Gemeinschaft, wann verschmelze ich mit anderen? Diese Fragen begleiten uns ein Leben lang und diese Arbeiten setzen sich intensiv damit auseinander. Crac IV zeigt zwei Personen in inniger Umarmung, getrennt durch einen Spalt.

 

Dieser Bruch muss jedoch nicht immer eine schmerzhafte Erfahrung sein; er kann auch ein Raum des Lichts sein, eine Farböffnung, die im Bild selbst entsteht. Diese Serie hat eine eigene Farbigkeit: Sie stehen gleichsam negativ, das Licht ist umgekehrt – ein Ansatz, der mit der Idee des Röntgenbilds spielt. So betrachte ich den Körper nicht über äußeres Licht und Schatten, sondern kehre das Verhältnis um, wodurch die Figuren geisterhaft wirken. Hier spielt die innere Beobachtung eine zentrale Rolle, die Frage, was im Inneren dieser Personen passiert, wenn sie einander berühren.

Berührung ist das nächste Stichwort. Allein schon der Titel der Serie )( spielt mit der Idee des Kusses zweier Menschen. Wir haben die Nummer III dieser Reihe für Gioachino Rossinis La Cenerentola genommen, in dem Aschenputtel ihrem Traumprinzen begegnet.

Diese Reihe reduziert radikal auf das Wesentliche – die Berührung zweier Lippen. Es gibt kein Narrativ, sondern wir fokussieren uns auf die Essenz dieses Moments. Dadurch entstehen Bilder mit einer gewissen Abstraktion. Wir sehen Lippenlandschaften mit Höhlen, die wie Wüstenlandschaften wirken. In diesen Darstellungen stellt sich mir die Frage: Was bedeutet es, hier auf Erden zu sein? Wann sind wir nicht in uns selbst gefangen und können wir uns in etwas anderes verwandeln? Finden wir uns in den Wüsten oder Himmeln wieder? Wann darf ich mich selbst verlassen?

Qulla V zeigt den Torso einer Frau, die ihre Hand auf ihr Herz legt. Dieses Gemälde fanden wir für Emily – No Prisoner Be, eine musikalische Reise in die poetische Welt von Emily Dickinson, besonders stimmig.

Diese Arbeit ist ein Verweis auf die Selbstberührung. Die Geste, die eigene Hand auf die Brust zu legen, hat eine starke symbolische Bedeutung und sagt: Ich fühle. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man eine Öffnung in der Malerei, die den Malgrund sichtbar macht. Es geht wieder um die existenzielle Frage: Wer bin ich? In dieser Selbstbefragung erscheint die Öffnung als Symbol. Ich kann das Äußere sehen, aber darunter könnte etwas anderes verborgen sein. Das Gemälde thematisiert auch die Frage der Projektionen. Hier schließt sich der Kreis zur Geschichte von Amor und Psyche: Es ist schön, mit den Augen zu sehen und die Figur, die Skulptur zu erkennen. Doch sie enttarnt sich als Täuschung, denn dort, wo sie sich selbst berührt, löst sich die Oberfläche auf. Was sehen wir, wenn wir hinter die Projektionen blicken? Das ist meine Sehnsucht: einen Raum zu schaffen, in dem Projektionen sich auflösen und echte Begegnung möglich wird.

Mehr über Vivian Greven und ihre Arbeit

finden Sie auf ihrer Website: https://www.viviangreven.de/ und ihren Social Media Kanälen.  

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